Zwei traurige Liebesgeschichten
Vor mir liegt der Reclam-Band Deutsche Unsinnspoesie. Es braucht manipogo mehr Humor, und auf über 400 Seiten findet sich eine Menge Material. Doch ein kurzer theoretischer Exkurs zum Unsinn will sein.
Klaus Peter Dencker zitiert in seinem Vorwort Johan Huizinga, der 1938 das Buch Homo Ludens geschrieben hat. Es behandelt den Menschen in seinem Spieltrieb.
Wenn man Ernst als das auffasst, was sich in Worten des wachen Lebens schlüssig ausdrücken lässt, dann wird Dichtung niemals vollkommen ernsthaft. Sie steht jenseits vom Ernst auf jener ursprünglichen Seite, wo das Kind, das Tier, der Wilde und der Seher hingehören, im Felde des Traums, des Entrücktseins, der Berauschtheit und des Lachens. Um Dichtung zu verstehen, muss man fähig sein, die Seele des Kindes anzuziehen wie ein Zauberhemd und die Weisheit des Kindes der des Mannes vorzuziehen.
Die Torheit sei den Menschen gleichsam angeboren, schrieb ein französischer Geistlicher des 15. Jahrhunderts. Dencker fragt:
Muss die Grenze meines Verstehens zugleich notwendig die Grenze dessen sein, was den sinnvollen vom sinnlosen Text trennt? … Woher nehmen wir das Recht, von sinnlosen Texten zu sprechen?
Die Unsinnstexte sind gegen die Norm geschrieben, bieten ein Ideenreservoir und verwirren den Leser. Die Aufgabe von Kunst ist, schrieb Adorno einmal, Unordnung in die Ordnung zu bringen.
Zwei Beispiele:
Von Edwin Bormann (1851-1912) stammt die
Eskimojade
Es lebt‘ in dulce jubilo
In Grönland einst ein Eskimo.
Der liebt voll Liebeslust und Leid
Die allerschönste Eskimaid,
Und nennt im Garten sie und Haus
Bald Eskimiez, bald Eskimaus.
Im wunderschönen Eskimai,
Spazieren gingen froh die Zwei,
geschminkt die Wangen purpurroth,
Wie’s mit sich bringt die Eskimod,
Und setzten sich ganz sorgenlos
Ins wunderweiche Eskimoos.
Still funkelte am Horizont
Der silberklare Eskimond.
Da schlich herbei aus dichtem Rohr
Othello, Grönlands Eskimohr.
In schwarzer Hand hielt fest den Dolch
Der eifersücht’ge Eskimolch
Und stach zwei-dreimal zu voll Wuth
In frevelhaftem Eskimuth.
Vom Dolch getroffen alle beid‘ —
Sank Eskimo und Eskimaid.
Da rannt‘ im Sprunge des Galopps
Herbei der treue Eskimops
Und biss mit seinen Zähnen stark
Den Mörder bis ins Eskimark,
Der bald, zerfleischt vom treuen Hund,
Für immer schloss den Eskimund. — —
So ward — das ist der Schlussaccord,
Gerächt der blut’ge Eskimord!
Und schau’rig klingt vom Norden her
Noch heut’gen Tags die Eskimähr!
Johann Victor von Scheffel (1876-1926) verfertigte
Eine traurige Geschichte
Ein Hering liebt‘ eine Auster
Im kühlen Meeresgrund;
Es war sein Dichten und Trachten
Ein Kuss von ihrem Mund.
Die Auster, die war spröde,
Sie blieb in ihrem Haus;
Ob der Hering sang und seufzte,
Sie schaute nicht heraus.
Nur eines Tages erschloss sie
Ihr duftig Schalenpaar;
Sie wollt‘ im Meeresspiegel
Beschauen ihr Antlitz klar.
Schnell kam der Hering geschwommen,
Streckt seinen Kopf herein
Und dacht‘ an einem Kusse
In Ehren sich zu freun!
O Harung, armer Harung,
Wie schwer bist du blamiert!
— Sie schloss in Wut die Schalen,
Da war er guillotiniert.
Jetzt schwamm sein toter Leichnam
Wehmütig im grünen Meer
Und dacht‘: »In meinem Leben
Lieb‘ ich keine Auster mehr!
Dazu ein Werk von mir: Die Astralhure.