Schwangeres Rennrad

Nach vielen Wochen bekam ich meinen Volvo von der Werkstatt wieder, und vor meiner Lieblings-Tankstelle in Staufen (Shell) hatten sich zwei Radfahrer postiert und versorgten sich drinnen mit Getränken. Einer hatte sein Rennrad angelehnt. Es war ein Wilier-Triestina (meine Marke! seit 1906, bei Vicenza) mit einem Akku, der unterhalb des Oberrohrs angebracht war. Ein Rennrad mit Strom!

Ich redete mit dem Mann. Sie seien auf dem Grand Ballon gewesen, sagte er. Nicht schlecht: Der Berg liegt 70 Kilometer von hier westlich, macht hin und zurück 150. Mit Strom geht das problemlos. Mein Gesprächspartner zeigte mir das Rad seines Freundes mit einem Ersatz-Akku, und ich meinte: »Damit kann man wohl 200 Kilometer fahren.« — »I wo«, entgegnete er. »Vielleicht achtzig.« Das bedeutet, den Rückweg vom Berg machst du mit dem schweren Rad, aber die Kraft hast du dir ja aufgespart. Oder du lädst es auf dem Berg nach. Bald wird das überall gehen.

Mir ist es in die Vogesen immer zu weit. Ich packe am Morgen mein Rennrad in den Volvo und fahre über den Rhein. Gerade gestern hab ich das gemacht, bin über Ensisheim nach Soultz, habe wie gewohnt am Friedhof geparkt und bin hoch auf den Markstein gefahren, 1184 Meter über dem Meer. Oben ließ ich mich fotografieren.

Der Blick auf das elektrische Wilier-Rad damals in Staufen stimmte mich traurig. Zum ersten Mal sah ich ein Rennrad mit Akku, und es war auch nicht besonders schön, das Wilier: ein mattes Silber mit Rot, und der angefügte Akku wirkte, als sei das Rad schwanger. Da hat man das Rennrad perfektioniert und es zum leichtesten und leichtfüßigsten Sportgerät auf Gottes Erdboden gemacht, das mit den richtigen Materialien nur 6 bis 7 Kilogramm wiegen kann … und dann hängen sie in ihrer Kilometerfressgier einen Akku hin, bestialisch ist das. Ich finde immer noch, dass ein Motor an einem Fahrrad nichts zu suchen hat.

Man soll fahren, so gut man kann, mit Muskelkraft, und was nicht geht, das geht eben nicht. Warum nicht die Grenzen des Körpers respektieren? Du wirst überrascht sein, wie weit du diese Grenzen hinausschieben kannst, auch ohne Motor! Ich war so stolz auf mich nach meiner elfstündigen Rückfahrt. Mit dem echten Rad, das nun in Frankreich vélo musculaire heißt, kann man Wunder vollbringen. Der Körper braucht nicht so viel Nahrung, wie man meint, und er kann unglaubliche Reserven mobilisieren, wenn die Psyche ausgeglichen ist. Diese Erfahrung macht man nicht, wenn man den Elektromotor zuschaltet.

Diese 5 netten Franzosen machten das Foto. Die Dame links hatte ein oranges Cannondale-Rennrad mit orangen Flaschen, was für ein Effekt. Der hinterste Mann hatte auch einen Akku am Rad.

Doch so ist das heute. Ich mache das Beste daraus und missbrauche E-Radfahrer immer als motorisierte Schrittmacher, wie sie bei Radrennen die Steher haben. Kürzlich überholte mich ein Mann, ich blieb an ihm dran, dann kam seine Frau vorbei, ich scherte aus und folgte ihr, und als sie wieder einscherte, zog ich an ihr vorbei, gab Gas und ließ sie beide hinter mir. Im Flachen können sie nicht schneller als 25. Manche spüren natürlich, dass sie verfolgt werden, dann halte ich Abstand. Sie sollen ja nicht nervös werden. Doch ich halte es für legitim, mich von Elektrofahrrädern ziehen zu lassen. das ist wie bei der Tour de France, wo dein »Wasserträger« den Spurt für dich anzieht.

Auf einer Rückfahrt Anfang August herunter vom Belchen mit dem Rennrad traf ich in der Nähe des Klosters St. Trudpert auf dem Radweg einen Mann, der fluchend sein E-Bike schob. Er habe es erst vor zwei Wochen für 6000 Euro gekauft, erzählte er, doch der Akku habe sich immer wieder abgeschaltet, eine Woche Reparatur hätte nichts gebracht, und nun sei sogar ein Pedal abgebrochen. Das dürfte wirklich nicht sein, außer es handelt sich um billiges Material, um »Glump«, wie der Bayer sagt. Anbringen ließ es sich nicht mehr; er musste wohl oder über das Rad noch 2 Kilometer heimschieben. Sowas gibt’s auch.

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