Ein Wort

Kürzlich redete ich lang mit meinem langjährigen besten Freund in Bayern am Telefon. Das können Männer auch, 45 Minuten plaudern über Gott und die Welt (und es hätte noch länger sein können). Die Smartphone-Manie kam auch zur Sprache; ich hatte ja bereits erwähnt, dass ich 6 Jahre nach dem Buch Fomo nun auch ein Smartphone besitze, ein biliges chinesisches. Ich schreibe auch What’s-apps!

Vor 6 Jahren war es noch nicht so auffallend, doch jetzt ist es ja eine weltweite Epidemie. Auf allen Erdteilen schaut, was Augen hat, auf das kleine Gerät, und ich frage mich immer noch, was sie da zu finden hoffen. Mein Freund hat ein Enkelkind, ein aufgewecktes Mädchen, das bereits beginnt, Zwei-Wort-Kombinationen zu formulieren: Vogel oben. — Mama Hunger. Von kurzem schrieb er, dieses Kind mit seinen 19 Monaten gebe manchmal sogar Vier-Wort-Sätze von sich! Wir jedoch, so der Freund, entwickelten uns zurück zu Ein-Wort-Botschaftern: Super. — Toll! — Krass. Oder der obligatorische Daumen hoch. Aber heißt es in der Bibel nicht Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund? Ein Bild, ein Filmchen, ein Gericht — Absender/in wünscht ein Feedback, und ein Wort genügt, und seine/ihre Seele ist gesund.

Witzig sind auch die What’s-app-Gruppen. Anfang des Monats trafen sich befreundete Münchner Journalisten im Biergarten und machten den Treffpunkt aus. 13 kamen zusammen, und dafür wurden 36 Messages hin- und hergewechselt. (Eigentlich nicht mal viele!) Am Ende: Wo seid ihr? — Am Zaun, am Spielplatz. Man legt einen Tag fest, von 12 können dann 4 nicht, und an einem anderen Tag sind 3 unabkömmlich, und so geht’s her und hin, doch sehen wir es positiv: Telefonieren wäre mühevoller, mit Briefen ginge das gar nicht.

Das Chatten mit meiner Nichte in Österreich macht auch Spaß. Es ist ein Austausch, und natürlich schreibe ich immer mehr, als nötig wäre. Kurze Sätze, man muss und will sich beschränken, doch es ist spontan und lustig, richtig kreativ. Vielleicht wird man aber auch kurzatmiger.

Ich will ja nach 6 Jahren, also nach Fomo, wieder ein Buch schreiben und habe mir vorgenommen, einfach und schlüssig zu formulieren, knapp und treffsicher. Wenn man dann am Text arbeitet, kann es schon passieren, dass einem dies und jenes noch einfällt, dass hier eine Abschweifung und dort eine Parabel dazukommen, aber ich will wirklich ökonomisch vorgehen, weil ich mir denke: Sonst liest das kein Mensch.

Wird das wirklich funktionieren? Mein Blog ist ja total textlastig, weil mir zwei Absätze immer zu wenig sind; alles steht in einem größeren Kontxt, man möchte auch ein kleines Thema erschöpfend behandeln, und das erschöpft dann Leser/in. Die Information über die Lesezeit ist ja absurd. Lesezeit: 6 Minuten. Damit man nicht abgeschreckt wird. So weit sind wir gekommen, was auch heißt: Dahin haben wir uns zurückentwickelt: zu hektischen Konsumenten von Instant-Texten, die wir nach 3 Minuten weglegen und zum nächsten übergehen. Doch wer schreibt, tut es eigentlich für sich, um sich über ein Thema klarzuwerden, und wenn es außer uns noch jemand liest (und uns ein Wort als Kommentar schenkt — geil!), ist das ein schöner Nebeneffekt.

ÐΩ

Der Fotograf des Bildes mit Lesen und Schreiben hat ihm einen Kommentar beigegeben, den ich nachreiche.

Schrift: »Rotis«, das seltene Beispiel einer Vielzweck-, ja vielleicht sogar einer Allzweck-Schrift. Lesbarkeit, sachliche Eleganz, Raumökonomie: Hier ist alles vereint, was es für den Umgang mit Text braucht. Selbst eine Fassade lässt sich damit zieren. Otl Aicher, einer der wichtigsten Gestalter und Gestaltungstheoretiker des 20. Jahrhunderts, der diese Schrift 1988 in die Öffentlichkeit gebracht hat, wäre im Mai dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Ein Bild zur Erinnerung an ihn.

 

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