Annemarie Schwarzenbach

Die Schweizerin Annemarie Schwarzenbach hatte ein kurzes, aber intensives Leben. Nach vielen Krisen und einer langen, anstrengenden Afrikareise wollte sie im Engadin ein Haus erwerben, und kurz vor dem Anwesen des Notars stürzte sie am 7. September 1942 mit dem Fahrrad und fiel ins Koma. Sie starb zwei Monate später.

Geboren wurde sie am 23. Mai 1908 als Tochter eines reichen Industriellen mit einer strengen, eingebildeten Mutter. Annemarie, die sich gern Miro nennen ließ, hatte Umgang mit Klaus und Erika Mann (Kinder des großen Autors Thomas Mann) und wollte immer nur schreiben. Sie verfasste einige beachtliche Romane und arbeitete für Zeitschriften.

Annemarie reiste gern in die gefährlichsten Gegenden, und sie tat dies alleine. Sie war eine jener modernen jungen Frauen der 1930-er Jahre, hörte gern Jazz, trug kurze Haare und kleidete sich burschikos, liebte Frauen, aber leider auch das Morphium und Alkohol. Annemarie stolperte von einer Krise in die nächste, blieb überall Außenseiterin, heiratete zum Schein einen homosexuellen Diplomaten und pendelte zwischen Marokko, New York, Zürich und Schwarzafrika.

Nach Afrika schien sie zur Ruhe gekommen. Sie wollte im Engadin leben, und kurz vor der Verwirklichung ihrer Träume stürzte und starb sie: eine böse Ironie des Schicksals. 1987 schrieb ein Journalist in der Zeitung Weltwoche über sie, und so wurde die junge mutige Journalistin wiederentdeckt. Zehn Jahre später verfasste die Italienerin Melania G. Mazzucco den Roman Die so Geliebte über das Leben der Annemarie Schwarzenbach. So skizziert sie die letzten Wochen, als Miro im Koma lag:

Sie ist wehrlos wie ein neugeborenes Kind, ohne Worte, ohne Sprache, ohne Lächeln. Sie kann nicht einmal mehr laufen. Sie hat das Gedächtnis verloren, den Geist, das Bewusstsein zu existieren. … Ihre Augen umschließen das Geheimnis, ihr Körper ist zerbrechlich wie Kristall … Wenn sie ein Mensch gewesen ist, so hat sie uns verlassen und unserer Rasse den Rücken gekehrt.

Nur wenige Komapatienten kehren in die Welt zurück. Viele tragen Schäden davon. So wird es auch mit dem Ex-Rennfahrer Michael Schumacher sein, der seit seinem Sturz im Schnee auf einen Felsen an Silvester 2013 nicht mehr gesehen wurde. Man lässt niemanden zu ihm.

Das Buch von Frau Mazzucco ist über 500 Seiten lang, obgleich einiges gekürzt wurde. Wie Annemarie Schwarzenbach schreibt die Italienerin anscheinend für ihr Leben gern, und man muss viel Energie mitbringen für die Lektüre. Doch das ist ihre Art: viele Abschweifungen und Erörterungen, alles wird intensiv abgehandelt, die Sätze sind lang und tragen schwer an Beiworten und Anfügungen, und immer wieder eine neue Drehung, dann noch eine und eine zuviel. Doch atmosphärisch ist das Buch sehr gelungen und sprachlich vorzüglich (gut übersetzt von Gesa Schröder): Wir lernen Annemarie Schwarzenbach kennen. Drum gleich noch 2 Beiträge über dieses geniale Schweizer Irrlicht.

 

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