Abgestempelt, eingesperrt

Annemarie Schwarzenbach »ist von den angesehensten Psychiatern des Jahrhunderts untersucht, behandelt und analysiert worden«, schreibt die Autorin. Carl Gustav Jung lehnte eine Behandlung ab; dann kam Ludwig Binswanger (1881-1966) und diagnostizierte Schizophrenie. Nun war Annemarie abgestempelt.

Wir denken an Eugen Bleuler (1857-1939), der den unnachahmlichen Tänzer Vaslav Nijinski als unheilbar krank einstufte und damit dessen Leben zerstörte. Oft waren die Koryphäen der Psychiatrie, die glanzvolle Bücher geschrieben hatten, hilflos im Umgang mit Patienten, und ihre Hilflosigkeit mündete oft in eine harte Diagnose.

Die frühere „Irrenanstalt“ in Rizzeddu, Sardinien

Annemarie kam in eine Klinik in Greenwich im US-Bundesstaat Connecticut. Sie randaliert im Büro des leitenden Psychiaters und wird fortgeschleppt: Sie legen ihr eine Zwangsjacke an.

Sie binden sie so fest, dass sie mit dem Tuch im Mund, mit den Tritten in den Bauch und den auf der Brust gekreuzten Armen keine Luft mehr bekommt und für einen Moment ohnmächtig wird. … Am Endes des Parks liegt an einem verschneiten Pfad der Pavillon Nr. 5, die Abteilung für die Tobsüchtigen. … Er hat vergitterte Fenster und vier leere Feldbetten. Auf dem Fußboden ist Sägemehl, wie in einem Käfig. Und auch die muffige Luft hat den gleichen Tiergeruch wie ein Käfig im Zoo. Ein Käfig für wilde Tiere.

Die Pfleger schieben sie hinein und legen sie auf ein Feldbett. — Später gelingt es ihr wie durch ein Wunder, aus dieser Institution in einer Novembernacht nach New York City zu entfliehen.

Strafkolonie Nodigheddu in Stintino, Sardinien

Nach einer Auseinandersetzung, bei der Annemarie eine Frau würgt, wird sie in das berüchtigte Hospital Bellevue eingewiesen. Wieder werden männliche Pfleger tätig.

Sie legen sie aufs Bett, auf den Rücken, hantieren mit dem Lederriemen des Feldbetts herum, und als sie erschrocken fragt, was sie machen, bekommt sie keine Antwort, aber die Riemen werden festgezurrt — einer läuft über die Decke auf der Höhe der Knöchel, die schön gespreizt gehalten werden, einer über der Brust, dass er ihr fast die Luft abschnürt, die anderen über die Pulsadern, in denen das Blut pocht —, und dann werden sie unter der Matratze befestigt, an die sie so eng gebunden ist, dass sie sich nicht einmal umdrehen kann. Und alles, damit sie in der Nacht nicht aufsteht und herumläuft, damit sie neun Stunden lang … bewegungslos liegenbleibt — absolut bewegungslos, gebunden und ausgestreckt wie ans Kreuz geschlagen.

Eines Tages kommt sie frei. Ihr Bruder Fedy hat sich für sie verwendet. Weihnachten ist längst vorbei, und er begrüßt sie mit den Worten: »Frohes neues Jahr 1941, Annemarie.«

 

Die Bilder sind von der Seite Sardegna abbandonata, die mir vor Jahren schon aufgefallen war.

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