Du und das Wir

Vor zwei Wochen fand in Heitersheim das »Chilbi-Fescht« zu Ehren des Stadtpatrons statt (Bartholomäus), und die Vereine bauten vorher in der Innenstadt die großen Zelte auf. Jeder Verein schickte Mitglieder, und ich sollte Tukolere Wamu vertreten. In zwei Stunden war alles errichtet, wir waren vielleicht 20 Mitwirkende, und es war kein Stress, sondern ruhiges, planmäßiges Arbeiten. Jeder tat mit, jeder war wichtig.

Als ich zufrieden heimfuhr, dachte ich an die Szene in dem Film Der einzige Zeuge von Peter Weir, als die Amish-Leute ein Haus hinstellen in einer fast ekstatisch zu nennenden Anstrengung, und die pathetische Musik krönt das Unternehmen. Harrison Ford tut mit. Damals, 1985, war er 43, ach, der junge, gutaussehende Harrison Ford mit seinem verhaltenen Lächeln! Die Szene seht ihr hier. Bei uns ging es ruhiger zu, und doch hat alles geklappt, und es war ein Erfolgserlebnis.

Als ich heimfuhr, dachte ich mir: Auf mich hätte man ruhig verzichten können. Auf einen einzelnen hätte man verzichten können, auf 5 vielleicht auch noch, aber nicht auf 10. Wenn man auf einen verzichtet, muss das Wenige, das dieser tut, ein anderer tun, und es dauert länger. Das ist ein Paradox: Jeder sieht sich im Zentrum seines eigenen Universums, doch als Mitglied des Wir verschwindet er; was soll ich wählen gehen, zählt meine Stimme überhaupt etwas? Wenn wir an einem großen Werk mitarbeiten, werden wir ganz klein und haben Mühe, unseren Wert zu sehen. (Unten: vor dem Start zu einer Critical-Mass-Veranstaltung, Rom 2002)

Wenn es um eine Arbeit für die Gemeinschaft geht, gibt man sein Ich auf. Man widmet sich der Aufgabe, die einem anvertraut ist. Jeder an seinem Platz. Was entsteht, hat das Wir geschaffen, das wir alle sind. Du bist du, aber auch wir. Alleine sind wir mächtig, aber zur selben Zeit ohnmächtig, denn verwirklichen können wir uns nur in Konstellationen, die von anderen geschaffen wurden, und in Organisationen aus vielen Mitgliedern. Alles, was wir wollen, hat mit anderen Menschen zu tun.

Freilich, man kann Einsiedler werden, dann braucht man niemanden. Doch das ist nicht der Sinn. Nur beten und in Liebe schwelgen genügt nicht. Die Liebe muss sich in Nutzanwendungen ausdrücken, in Taten mithin (das sagte schon Swedenborg vor 250 Jahren, als er im Jenseits unterwegs war). Wir wollen vielleicht berühmt sein; doch das wollen wir, weil wir von anderen bewundert werden wollen. Ohne die anderen geht nichts, sie gehören zu mir, und die kleinen Taten für die Gemeinschaft helfen, uns nicht zu wichtig zu nehmen. Auch die kleinen Dinge sind wichtig, du bist wichtig an deinem Platz und ein Teil des Wir. Manche Dinge kann ein einzelner nicht schaffen. (Bild unten: der Abbau der Zelte. Geht schneller)

Indem du deinen kleinen Beitrag leistest, bringst du das Wir voran, und alle sind auf dem Weg der Erlösung, die erst erreicht sein wird, wenn es allen gutgeht. Khalil Gibran sagte:

Wie in einer Prozession geht ihr eurem göttlichen Ich entgegen.

 

Übrigens: NEU findet ihr Fotos mit witzigen Kommentaren auf meiner Instagram-Seite. Hätte ich mehr als 3 Follower, würde ich öfter was posten. Ein Foto, irgendwo unterwegs aus der Hüfte geschossen, und dazu einen bissigen oder giftigen oder poetischen Kommentar, der nicht zu lang sein sollte: das macht mir Spaß. Natürlich scrolle ich herunter und sehe mir an, was da geboten wird. Sinnsprüche, Kapriolen von Hunden, witzige Situationen; Verkehrsunfälle, bei denen Lastwagen in Abgründe stürzen und Autos zerfetzt werden (ist das wirklich echt?); dann stöckeln langbeinige vollbusige Mädels auf uns zu oder andere flüstern uns etwas zu: Das ist schon ziemlich billig. Ein Drittel ist der reine Mist.

Gestern habe ich in einem Gewerbegebiet in der Nähe diese »Skulptur« links oben aufgenommen, die Werbung für einen Schnellimbiss macht. Darunter würde ich schreiben: Thüringer Bratwurst. Die FDP hat sich daran verschluckt, und die anderen sind auch nicht recht glücklich mit ihr geworden.

 

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