Die Wahlen morgen im Osten: Was die NY Times schreibt
Vor dem Schreibwarenladen Buntstift in Sulzburg wartete in einem Ständer die New York Times auf mich: vom selben Tag, Freitag, 30. August! Die internationale Ausgabe! In New York ist es 6 Stunden früher, so erklärt sich das. Die große Zeitung hat auch einen Artikel zu den Wahlen in Thüringen und Sachsen morgen, und der interessiert uns.
Dazu muss ich noch sagen, dass Uwe Johnson in seinem 1600-Seiten-Buch Jahrestage die New York Times immer verehrte. Sie war für ihn die alte Tante, der man vertrauen kann. Das Buch beginnt ja am 20. August 1967 und behandelt ein Jahr in Manhattan, wo Gesine Cresspahl mit ihrer kleinen Tochter Marie lebt. Ein großes Werk. Für den 30. August (1967) vermerkt er:
Der Vietcong brach in ein Gefängnis in Quangngai und befreite 800 Gefangene. Die Zeitung (The New York Times) nennt die Namen von vier amtlichen Kriegstoten aus der näheren Umgebung, nicht aber die Zahl aller. Dem toten Nazi wurde der Weg zum Grab im Nationalfriedhof von Culpeper, Virginia, von einer Einheit Soldaten versperrt, weil die Partei nicht das Hakenkreuz vom Leichenwagen nehmen wollte; jetzt liegt er wieder beim Bestatter. (…)
Der Artikel am 30. August 2024 steht auf der Seite Opinion (Meinung), ist von Peter Kuras und trägt den Titel The specter of Nazism is haunting Germany. Das heißt: Das Gespenst des Nationalsozialismus verfolgt Deutschland. Die übliche Panikmache? Ich informierte mich über Peter Kuras und stieß zuerst auf einen FDP-Politiker dieses Namens, der 7 Jahre Bürgermeister von Dessau war. Doch der Autor ist zum Glück ein anderer, der einen Doktor von der Princeton-Universität hat, in Berlin lebt und bereits für die Times und den Guardian geschrieben hat. Dieser Artikel für die New York Times ist anscheinend seine Premiere in dieser Zeitung. Schauen wir genauer hin.
Nichts zu sagen: Es ist eine kluge, hellsichtige Analyse. Der Autor denkt an ein Bild aus dem Jahr 1992, als rechtsradikale Elemente Flüchtlingsheime in Rostock überfielen. Ein Mann, Harald Ewert, war abgebildet, der den Hitlergruß darbot. Dafür wurde er später verurteilt, weil das Foto um die Welt ging; andere im Hintergrund aber kamen ungeschoren davon. Das ist Kuras‘ Motiv: In Deutschland werden Hakenkreuz und Hitlergruß verfolgt, aber sonst sei man irgendwie ratlos und überlasse der Rechten viel Terrain. Oberflächliches Herumtun, wenig Substanz. Der Autor überlegt:
Politische Symbole sind wichtig, aber es wird problematisch, wenn sie politische Inhalte ersetzen. Es ist gut zu erkennen, dass der Hitlergruß und das Hakenkreuz böse sind. Aber manchmal hat man den Eindruck, dass die deutsche Sensibilität für die politischen Symbole den Deutschen eher dazu dient, vergessen zu wollen, was ihre Vorväter angerichtet haben, statt sich daran zu erinnern.
Auch die Opposition gegenüber den Rechten von der AfD wirke eher dem Image geschuldet, als dass sie Substanz hätte. Man konzentriere sich auf die bösen Symbole und ignoriere die brutale Durchsetzung neuer Asylpraktiken, das Gekeife in den Medien und den Durchmarsch rechter Parteien. Eine gehässige Sprache präge nun die deutsche Politik. Nach dem 7. Oktober, als die Hamas Israel angriff, und nach den Morden von Solingen ging es sofort wieder um mehr Härte gegenüber Emigranten. Die Dämonen der Vergangenheit wirkten immer noch, das Gespenst des Nationalsozialismus verfolge Deutschland bis heute. — Das kann man kaum bestreiten.
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Auf der Titelseite links schreibt Nicholas Kristof über Europa: Modell oder Warnung? Er hebt hervor, dass bei uns die Menschen weniger arbeiten und mehr sozial abgesichert sind als in den USA, doch technisch und digital hinke Europa hinterher. Wenig Wirtschaftswachstum, wenig Dynamik. Hier müssen wir nicht lange nachdenken: Europa ist ein Modell. Lasst uns ruhig dahinleben! Wachstum und Vorndranseinwollen und Turbokapitalismus setzen die Menschen unter Druck und Mutter Erde auch. Und der Reichtum kommt immer nur wenigen zugute, Take it easy. Und wählt Ms. Harris!