Im Kriegsbordell
Leila, ein bosnisches Mädchen von 16 Jahren, hatte Pech. Gleich im ersten Jahr des Jugoslawien-Konflikts wurde sie von Serben mitgenommen und in einem Bordell untergebracht. Ein Jahr lang in einem einzigen Zimmer, zu zwölft. Dann kamen die Kunden. Andauernd wurde sie sozusagen vergewaltigt. Viele Männer wurden im Krieg zu Bestien; andere bewahrten sich ihre Würde und erwiesen sich als gute Menschen.
Das ist schwere Lektüre. Geschrieben hat das Buch im Jahr 2000 Alexandra Cavelius. Die Schlüsselstelle lautet so:
Ich fühlte nur noch, dass ich nichts mehr fühlte. Ein Jahr lang durften wir dieses Zimmer nicht verlassen. Nur durch das Fenster erkannte man die Jahreszeiten. … Ein fester Stamm von fünf Soldaten verdiente Schnaps und Zigaretten mit uns. … Der jüngste unter den Besuchern war vielleicht neunzehn, der älteste womöglich fünfzig. Unter all diesen Kerlen war nicht einer, der angesichts unseres Elends keinen hochgekriegt hätte. Niemand hatte je ein freundliches Wort für uns übrig. Sie haben uns nur beschimpft, gefoltert und missbraucht.
Nur drei überlebten die Strapazen. Eine wurde erschossen »wie ein Straßenköter«, eine nahm sich das Leben, eine starb beim Russischen Roulette. Diese Mädchen waren nur Objekte zur Triebbefriedigung und galten anscheinend nicht als Menschen. Und auch die Besucher waren anscheinend keine Menschen; sie hatten kein Mitgefühl und keine Würde mehr. Macht das der Krieg? Nein. Er ist wie Trunkenheit: Er holt das aus dir heraus, was in dir steckt. Wenn du ein unmenschlicher Kerl bist, wirst du gleich noch schlimmer. Es ist ein furchtbares Portrait des Mannestums, was Leila zeichnet.
Die Menschen waren wertlos, sie starben wie die Fliegen. — Tiere schlachtete man humaner als diese Menschen. — Diese Kerle hatten meine Seele zerstört. — Mein Körper gehörte schon lange nicht mehr mir. Nur mein Geist wartete ab, dass es endlich vorbei wäre. — (Doch) immer hatte ich den Eindruck, dass nicht ich, sondern eine Fremde das tat. Die echte Leila lad im Koma.
Es war auch die Zeit der ethnischen Säuberungen. Was muslimisch war, sollte vertrieben oder ausgetilgt werden — 50 Jahre nach den Nationalsozialisten. Der Jugoslawien-Krieg dauerte von 1991 bis 1998 und forderte 200.000 Menschenleben.
Ein Mann spricht Leila später an. Ratko. Er nimmt sie mit in seiner Feldküche, und alle Soldaten, auch sie Serben, helfen Leila und verwöhnen sie. Sie kommt wieder allmählich zu sich. Sie macht Ratko klar, dass er sie nicht berühren solle, und so verbringen sie die Nächte wie Bruder und Schwester. Später dann, als sie in einem Café arbeitet, verliebt sie sich in Ibrahim. Sie will mit ihm gehen. Dann kommt Ratko wieder, und Ibrahim führt sich auf wie ein Despot, dem angeblich Leila gehört. Auch der nette Ibrahim entpuppt sich schließlich als kleines Scheusal. Leila wendet sich von ihm ab und stellt am Ende des Buches in Aussicht, mit dem lieben Ratko könnte es vielleicht doch noch etwas werden …

Die alte römische Brücke von Mostar um das Jahr 1900. Sie wurde 1993 von kroatischen Granaten zerstört und 2013 mit Spendengeldern wieder aufgebaut. – Dank an die Library of Congress, Wash. D. C.
Schon 1993 entstand in Den Haag ein besonderes Gericht für den Jugoslawien-Krieg. Vor ihm wollte Leila auch aussagen. Es erklärte 2017 seine Aufgabe für beendet. Vielleicht sollte es die führenden Köpfe bestrafen. Das Gericht klagte 161 Männer an, und 84 wurden verurteilt. Aber: An die 100.000 Frauen wurden in dem Konflikt vergewaltigt, schätzt man. Die Frauen gingen oft nicht vor Gericht; es war auch schwierig, ohne Zeugen eindeutig eine Vergewaltigung nachzuweisen. So kamen fast alle Täter straflos davon. Manch einer lebt heute, 30 Jahre später, vermutlich gemütlich als Rentner auf dem Balkan. Die vergewaltigte Frau sitzt vielleicht im Haus nebenan und leidet stumm vor sich hin, hat Alpträume, kann nicht vergessen und hatte seitdem nie mehr Sex.