Radeln zum Laden, hin und zurück, hin und zurück
Gehen wir hinüber nach Schweden. Lars Gustafsson (1936-2016) war ein wunderbarer Schriftsteller aus diesem Land, mehr über ihn unten in einem manipogo-Beitrag. In meinen Notizen fand ich über ihn ein paar Stellen in seiner Autobiografie Herr Gustafsson persönlich. Da wird geradelt, und da auf manipogo einmal im Monat geradelt werden soll, biete ich sie euch an.
Gleich zum Titel:
Gotland: Ich radelte immer wieder zum Kolonialwarenladen und zurück, ganze Vormittage lang. weil die Rastlosigkeit mich unentwegt dazu zwang, etwas zu tun.
Der Norden ist feindlich, fremd, bedrohlich. Von Norden kommen alle Gefahren, morgens die Scharen von Fahrradfahrern auf dem Weg nach Norden, abends in südlicher Richtung zurück auf der Straße, die von Köpingswägen abgeht.
An solchen Tagen stand ich gewöhnlich um sechs Uhr morgens auf und radelte mit der schweren Aktenmappe und ihrer Sündenlast an Manuskripten und Briefen auf dem Gepäckträger die steilen Steigungen nach Ängelsberg hinauf, wo der Bahnhofsassistent mit seinen Rangierern immer gegen sieben Kaffee trank, während der See sich still wie Quecksilber, wie geronnenes Blei vor dem Bahnhofsgebäude ausbreitete.
Damals, als Gustafsson jung war, radelte man eben. In den nördlichen Ländern fährt man ohnehin gern Rad (nur sind Schweden und Norwegen ziemlich hügelig; Dänemark und die Niederlande bieten sich eher an).
Hier, bei uns, spüre ich, dass sich das Tempo erhöht hat. Wenn du nach Freiburg fährst, zischen da junge Rennradler an dir vorbei mit gefühlten 40 Kilometern pro Stunde, und schwere E-Bikes rollen auf breiten Reifen stramm voran. Schneller, weiter, größer — diese Parolen des Turbokapitalismus haben viele kritiklos verinnerlicht; Hauptsache schnell sein. Aber riskant ist es auch, und man jagt an so vielem vorbei. Mittlerweile überholen mich alle Rennradfahrer, und auf dem Tourenrad wenn ich sitze, fahren sogar junge Mädchen (ohne Motor) lässig an mir vorbei. Nur zu! Wir sehen uns an der nächsten Ampel!
Im September hörte ich noch von der Krise des Volkswagen-Konzerns, des größten Autobauers Deutschlands. In Zwickau stellen sie nur 240.000 Autos her im Jahr statt 360.000 wie geplant. Nun soll ein Werk geschlossen werden, und die Arbeiter bekommen die 4-Tage-Woche. Hat das Management versagt? Das ist eine Krise auf hohem Niveau. Überall sieht man diese Tiguan und T-Roc, aber der Konzern will ein Massenfahrzeug wie damals den Golf. Einen Erfolg.
Dabei haben wir in Deutschland aktuell 49 Millionen Fahrzeuge, bei 84 Millionen Einwohnern. Auf 8 Menschen entfallen 5 Autos, und das sind heute richtige »Prügel«, wie man früher gesagt hätte. Die sollen nun mehr kosten, wenn sie stehen (und Automobile stehen ja 95 Prozent des Tages). Aus dem Leitartikel von Alexandra Kirsch in der ADFC-Radwelt 3/2024):
Koblenz hat bereits einen Jahresgrundbetrag von 23,40 Euro festgelegt, der mit der Länge und Breite eines Fahrzeugs multipliziert wird. In Aachen sollen ab 2025 pro Quadratmeter Platzbedarf 30 Euro fällig werden, plus 15 Euro Bearbeitungsgebühr. SUVs verbrauchen viel wertvollen Platz, gefährden Verkehrsteilnehmende und schaden Umwelt und Klima …
Dazu noch ein schönes Zitat, aus dem Buch Schah-in-Schah, 1979, von Ryszard Kapuscinski (1932-2007). Es geht um Teheran.
Eine Million Autos wälzten sich durch enge Gassen und kamen immer wieder zum Stillstand, weil zwei Kolonnen aus entgegengesetzten Richtungen aufeinandertrafen und von anderen Kolonnen von links und von rechts, von Südwesten und von Nordosten, zerzaust, errissen und atomisiert wurden; zusammengenommen ergaben diese Reihen einen gigantischen qualmenden und dröhnenden Seestern, der in den engen verwinkelten Straßen wie in einem engmaschigen Netz gefangen, zappelte. Tausende Autohupen heulten Tag und Nacht, ohne Sinn und Wirkung.