Pferde stehlen

Ein zeitgenössischer norwegischer Autor ist Per Petterson, 1952 geboren. 2005 kam sein Roman Pferde stehlen heraus, und er, der 52-jährige, malte sich darin aus, 67 Jahre alt zu sein und in ein Haus an der schwedischen Grenze zu ziehen. So alt bin ich übrigens, so ist das, und natürlich musste ich schon deswegen das Buch lesen.

Dieser 67-jährige Norweger heißt Trond. Wir erfahren, dass seine Frau vor 3 Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen ist und seine Schwester fast gleichzeitig starb; er hat darum nicht mehr viel Lust, mit Leuten zu reden und meinte, an die schwedische Grenze zu ziehen würde ihm gut tun. Überall fahren da Volvos herum, weil es drüben im Nachbarland billige Ersatzteile gibt. Hat mir gefallen, ich habe ja einen 23 Jahre alten Volvo.

Mein ganzes Leben habe ich mich danach gesehnt, allein an einem Ort wie diesen zu sein. Auch in schlimmen Zeiten, und die waren nicht selten. … Und jetzt bin ich hier, und es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe.

Ich dachte an Thonon les Bains am Genfer See, an den Campingplatz, auf dem ich 3 Tage lang so glücklich war. Ich hatte 5 Tage heftigen Radelns hinter mir, wollte mich erholen, niemand wusste, wo ich war, die Tage standen offen und der See war in der Nähe. Auch ich hatte oft das Bedürfnis, einsiedlerhaft zu leben. Der Wassermann pendelt gern zwischen Gesellschaft und Einsamkeit hin und her. Als ich Pferde stehlen las, war ich eine Woche lang am Morgen mutlos. Einmal fuhr ich zum Rhein und sagte zu mir: ›Du gräbst in der Vergangenheit herum. Schau, wo du bist! Du bist hier! Schau genau hin!‹ Dann wurde es besser. Doch es ist nicht leicht, die Vergangenheit abzuschütteln.

In dem norwegischen Roman sind in der Vergangenheit auch schreckliche Sachen passiert. Das ist gern so in Romanen: Ein düsteres Geheimnis, das über alle einen Schatten warf, wird umkreist, und dann lernen wir es kennen. Petterson erzählt das nur kurz, und dann beschreibt er wieder den Alltag. Er repariert an seinem Haus herum, Lars hilft ihm, es sind Männer ohne Frauen, und wir erfahren, wie Trond sich jeweils fühlt, er betreibt eine ziemlich intensive Innenschau bei auch den kleinsten Episoden. Doch die hauptsächlichen Dige werden so nebenbei abgehandelt, in wenigen Sätzen.

Einmal hat ihn sein Vater umarmt. Das kam ganz selten vor. Der Vater verschwand dann. So etwas ist immer traumatisierend. Petterson erwähnt es. Wir erfahren nicht, wann und wie sein Vater gestorben ist, ob er ihn noch einmal getroffen hat: nichts. Dafür ist das Buch schön geschrieben, es lebt im Alltag, und zuweilen gibt es lange Rückblicke. Kann man schnell lesen. »Ein Männerbuch« urteilte meine Nachbarin Anneliese. Damit hat sie wohl recht. Männer legen immer Hand an, rauchen und trinken, erleben etwas gemeinsam, aber das, was sie verletzt hat und sie quält, das verbergen sie in sich. Es braucht eine Frau, das herauszuholen.

 

Die Bilder aus Norwegen sind von Otto Schäfer.

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