Im Todestrakt
On Death Row ist eine Serie von 8 Dokumentarfilmen, die der deutsche Regisseur Werner Herzog 2013 und 2014 aufnahm. Er sprach in den USA mit zum Tode Verurteilten und behandelte auch ihr Delikt. Jetzt, 10 Jahre später, leben nur noch 3 der 9 Todeskandidaten. Manche warten seit 25 Jahren auf den Tod.
Werner Herzog lebt seit 1996 in Los Angeles, ist mittlerweile 82 Jahre alt und aufgrund seiner Filme (Woyzek, Stroszek, Aguirre, der Zorn Gottes, Fitzcarraldo) und seines bescheidenen Auftretens in den USA und der Kinowelt sehr geschätzt. Im Januar kam er bei dem amerikanischen Journalisten Piers Morgan zu Wort. Herzog zuzuhören, wie er mit seinem netten Münchnerischen Englisch seinen Standpunkt vertritt, ist ein Erlebnis. Ein Youtube-Kommentator meinte, am besten klone man ihn, weil er so weise sei; und ein anderer, Herzog sei eine Zierde des Menschengeschlechts.
In den vergangenen 15 Jahren hat Herzog viele Dokumentarfilme gedreht, unter anderen From One Second to the Next über 4 tödliche Autounfälle, entstanden durch Handy-Ablenkung: Tod durch Texten! Seine Todestrakt-Reihe beginnt immer in der gleichen Weise: mit einer Kamerafahrt durch die Räume, in der in Huntsville in Texas die Verurteilten durch die Giftspritze getötet werden. Es dauert durchschnittlich 24 Minuten, bis der Tod eintritt. Das ist eine lange Zeit.
Am Beginn jedes Films ist Herzogs Stimme zu hören. Er bezeichnet sich als Gast in den Vereinigten Staaten, der dennoch »bei allem Respekt nicht einverstanden sei« mit der Todesstrafe, die in 33 US-Staaten gilt und in 15 noch angewandt wird. »I respectfully disagree«, sagt er. Die Verurteilten, mit denen Herzog sprach, mussten 15 bis 25 Jahre auf die Vollstreckung des Urteils warten. Manche warten heute noch. Es kommt vor, dass ein Gericht kurz vor der Hinrichtung noch einschreitet oder der Gouverneur Gnade ergehen lässt.
Eine Kommentatorin auf Youtube, wo die 8 jeweils 50 Minuten langen Filme zu sehen sind, schrieb:
Sie nennen es Todesstrafe, ich nenne es Freiheit!
So kann man es auch sehen. 28 Jahre isoliert in der Todeszelle sein, das ist extrem hart. Doch auch auf uns wartet der Tod, und im Altenheim kommt er oft vorbei und holt jemanden ab. Die US-Behörden setzen einen Termin fest, das Death Team holt den Delinquenten ab, der noch eine letzte Mahlzeit erhält und letzte Sätze sagen darf.
Herzog findet den richtigen Ton und bekommt guten Kontakt zu allen seinen Gesprächspartnern. Weil er ein mitfühlender, neugieriger Mensch ist, stellt er auch die Taten dar, die zur Todesstrafe führten. Spricht mit Ermittlern, mit den Eltern des Häftlings on death row, mit Angehörigen der Opfer, die er immer wieder erwähnt: Sie sollen nicht vergessen werden.
Manchmal überdeckt die Monstrosität eines Verbrechens das andere Thema, die Kritik an der Todesstrafe. Unwillkürlich fragt man sich: Woher diese irrsinnige Gewalt manchmal? Wird da durch einen Auslöser das Raubtier im Menschen entfesselt? Was können sich Menschen nicht alles in den Kopf setzen, was können sie nicht alles verdrängen!
Eigentlich können wir keine der Taten nachvollziehen. Zuweilen waren Drogen im Spiel, Aber auch da: warum? Ein junger Mann bringt bei einem Exorzismus ein 13 Monate altes Kind brutal um, eine Frau raubt einer anderen ihr Neugeborenes und tötet die Mutter, einer erschießt kaltblütig zwei Lastwagenfahrer, einer schlachtete die Freundin und ihre Kinder ab, und eine Mutter tötete ihre beiden kleinen Söhne.
Bisweilen waren es narzisstische Menschen, nur mit sich und ihrem Selbst- und Fremdbild beschäftigt, die sich gestört oder gedemütigt fühlten. Sie wollten jemanden aus dem Weg räumen; und nun räumt der Staat Texas sie weg.
Oder jemand rastete aus, verlor die Fassung, und hätte er nicht gerade eine Waffe zur Hand gehabt, wäre nichts Schlimmes passiert. Wir Menschen sind eine Familie, aber auch in Familien gibt es Konflikte und nicht selten sogar Hass. Da sitzen diese Todeskandidaten, sind sympathisch und reden intelligent daher … und du weißt, was sie getan haben in einer dunklen Stunde ihres Lebens. Außen und Innen passen nicht. Diese 8 Filme machen einem zu schaffen, geben einem zu denken.
Morgen Teil 2