Ich heiße Loh Kiwan

Letzten Mittwochabend sahen wir den südkoreanischen Film Mein Name ist Loh Kiwan, und am nächsten Abend, als ich mir vorgenommen hatte, über den Film zu schreiben, meldete das Telegiornale, dass Han Kang aus Südkorea den Literatur-Nobelpreis bekommen hatte.

Es war eine Überraschung. Die neue, 1970 geborene Nobelpreisträgerin heißt mit Familiennamen Han, mit Vornamen Kang. Ihr Vater war Han Seung-won; der Vorname ist immer zweisilbig und wird gern nachgestellt. Sie ist die 18. Frau unter den bislang 113 Geehrten seit 1901; seit dem Jahr 2000 waren 9 Frauen unter den 24 Preisträgern. Die anderen 9 Frauen sind auf die 100 Jahre davor verteilt.

Der Schweizer Rundfunk war mit einer Würdigung am schnellsten und vermerkte:

Han Kangs Literatur stellt sich gegen jede Form der Brutalität. Ihre Texte sind starke Botschaften für eine gewaltfreie menschliche Existenz. Ihre Sprache ist ruhig und feingliedrig – und damit umso eindringlicher.

Der Film, von dem ich sprechen möchte, war Anfang März bei Netflix veröffentlicht worden. Der Loh Kiwan, um den es geht, ist ein Überläufer aus Nordkorea, der nach einer Zeit in China nach Brüssel fliegt/flieht, um dort Asyl zu beantragen. Gespielt wird er vom Jungstar Song Joong-ki. Der Regisseur ist Kim Hee-jin, die Vorlage stammt von Cho Hae-jin (immer der Familienname zuerst! 80 Prozent der Südkoreaner heißen übrigens Lee, Kim oder Park mit Nachnamen.)

Ja, bravo, eine gewaltfreie Existenz! Der südkoreanische Film war leider brutal und emotional, aber auch realistisch. Loh Kiwan will Asyl, doch man glaubt ihm nicht. Zwei Anhörungen, dann das Gericht.

Ich dachte mir: Der Film ist natürlich für ein asiatisches Publikum gedreht. Nordkorea wird als schlimm geschildert, aber wie kommt Belgien rüber, das damit auch stellvertretend für Europa steht? Die Belgier im Film sind Polizeibeamte, Richter und strenge Beamte, es gibt außerdem geldgierige Verbrecher (mit ihnen hat seine Freundin Marie zu tun, gespielt von Choi Sung-eum), junge gewalttätige Punks und Leute, die sich an Schwachen austoben. Belgien (und damit) Europa wird als eiskalte Welt mit hartherzigen, sadistischen Menschen gezeigt. Das ist wohl die Optik Außenstehender; und ist sie ganz falsch?

Loh Kiwan lebt in einer Welt von Asiaten in Brüssel, und endlich erhält er eine Art Bleiberecht. Er sagt am Schluss so ungefähr:

Wenn ich mir ein gewisses Recht erworben habe in diesem Land, so geht es nicht darum, hier zu leben, sondern dieses Land wieder verlassen zu dürfen. Das habe ich verstanden.

Bloß weg von hier! Ein Rezensent nannte den Film manipulativ und überfrachtet, und kitschig sei er. Ja, als Kontrapunkt zu einer bösen Welt brauchen wir eine innige Liebesgeschichte, und wir kriegen sie. Loh Kiwan und Marie! — Im Dezember kommt dann auf Netflix die zweite Staffel von Squid Game, auch aus Südkorea. Da wird es wieder brutal zugehen, aber Han Kang hält dagegen. Und manipogo auch.

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A propos Brüssel: Gestern, also drei Tage nach dem Loh-Kiwan-Film, entschieden wir uns für den Film On the Edge (Entre la vida y la muerte) des Regisseurs Giordano Gederlini, im Juli 2022 auf Netflix veröffentlicht. Es ist eine Koprodukrtion von Belgien, Frankreich und Spanien. Nichts wies darauf hin, dass der Film in Brüssel spielen würde … Und wieder (siehe oben) sehen wir viele Polizisten, eine Richterin und einige äußerst brutale Kriminelle; ist das Brüssel? Bestimmt nicht.

Leo Castaneda (Antonio de la Torre), der Ex-Polizist, dessen Sohn gerade ums Leben gekommen ist, räumt als Einzelkämpfer auf und darf als Sieger das Feld verlassen. Sehr düster, sehr brutal. Wieder wurde uns ein kaltes gefährliches Brüssel gezeigt, und das war wohl die »Anziehungskraft des Bezüglichen«, wie Paul Kammerer einmal sagte. Ich hatte meine obigen Sätze geschrieben, und ich wurde bestätigt, weil sich die Dinge gern reimen. Sie treten immer doppelt auf, damit wir verstehen, wie einflussreich unsere Gedanken sind. Auf scheinbar magische Weise geschieht das.

 

 

 

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