Der Joker im Knast
Im Staatsgefängnis spielt der zweite Teil von Joker, von dem ich nie etwas gehört hatte. Der Komödiant Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) hat als Clown 6 Menschen getötet und muss vor Gericht. Im Gefängnis lernt er Lee Quinzel kennen (Lady Gaga), und so erklärt sich der Untertitel Folie à deux (vereinter Wahnsinn). Der erste Film von 2019 hat eine Milliarde Dollar eingespielt (Crime Does Pay!!!), und das hier ist die Fortsetzung, wieder gedreht von Todd Phillips.
Das muss man wiederholen: Joker hat eine Milliarde Dollar eingespielt, der Einsatz betrug 55 Millionen. Todd Phillips, der auch ein gewiefter Pokerspieler ist, hatte gut geblufft. Über den neuen Film, der nun fast 200 Millionen Dollar gekostet hat, sagen alle nur Schlechtes. Gut aber die Frage eines Rezensenten: Wohin sind die fast 200 Millionen Dollar geflossen? Der Film spielt nur im Gefängnis und im Gerichtssaal, es gibt ein paar spektakuläre Explosionen, aber sonst? Es ist vor allen Dingen ein Musical mit schönen alten Songs.
Die Musik hat Hildur Gudnadóttir komponiert, wohl eine Isländerin. Noch bevor ich das wusste, dachte ich an Björk aus Island und den Film Dancer in the Dark von Lars von Trier (2000). Wenn ich mich recht erinnere, begeht Björk in dem Film einen Mord und kommt ins Gefängnis. Die Songs sind traurig, es entsteht eine bedrückende Atmosphäre. Phillips mus sich einen morbiden Effekt davon versprochen haben, dass Arthur und die Frau, die ihn (und das Böse in ihm) verehrt, sich in der düsteren Gefängniswelt auf romantische Art anschmachten. Es wirkt irreal und soll so wirken.
Dancer in the Dark: Vielleicht sind die Arien und Gesänge eine Art Verhöhnung der ehemals heilen Musicalwelt, die, eingebettet in eine gewalttätige Welt, uns ebenso irreal vorkommen mag: wie eine große Lüge. Immerhin wirkt das Böse menschlich dadurch; auch Monster wollen geliebt werden, denken wir an Frankensteins Kreatur, die ihren Schöpfer bat, ihm eine Partnerin zu (v)erschaffen. Frankenstein verweigert sich, und die Kreatur rächt sich fürchterlich.
In den Comic-Sequenzen zu Beginn tanzt der Joker und ringt mit seinem Schatten, verliert ihn und gewinnt ihn wieder. Ist der Joker Arthurs Schatten oder Arthur der Schatten des Joker? Sind beide etwas wie der böse Dr. Jekyll und der gute Mr Hyde in Edgar Allan Poes Erzählung? Es ist die alte Frage: Wer bist du? Sind deine Taten Ergebnisse einer unglücklichen Verkettung von Umständen oder etwa der wahre Ausdruck deiner Persönlichkeit? Was steckt in uns?
Doch das wird nicht richtig ausgespielt. Arthur Fleck wirkt immer undurchsichtig, latent bedrohlich und unberechenbar. Ist er der Joker oder ist er es nicht? Er selber ist sich nicht im klaren darüber, verteidigt seine Identität und verliert alles. Das Motiv von Dr. Jekyll und Mr Hyde wurde in der Filmwelt weidlich ausgespielt, und bei Wikipedia lesen wir:
Wie der junge Held der Zorro-Geschichten bei Tag den sanftmütigen Don Diego gibt und bei Nacht zu Zorro, dem feurigen Kämpfer für das Gute wird, ließen Siegel und Shuster Superman ein Doppelleben als introvertierter Zeitungsreporter Clark Kent einerseits und als verwegener Streiter für Recht und Gerechtigkeit in Gestalt des Superman führen.
Doch das Gute hat heute seinen Glanz verloren, es wirkt langweilig; das Böse muss es sein, nur das Dunkle erregt die Leute und beflügelt ihr Fantasie. Seit vielen Jahren decken sie uns mit Krimis ein. So hat sich die westliche Gesellschaft verändert. Joker — Folie à deux zeigt uns das, und wir nehmen es zur Kenntnis; das Gute (daher kommt der Name Gott) existiert dennoch und wird triumphieren. Aber es wird dauern.
P. S.: Das war der 3500. Beitrag auf manipogo.