Ethno-Psychologie
Damals am Freiburger Psi-Institut, vor 30 Jahren, vertiefte ich mich gern in eine Zeitschrift zur Ethnopsychologie. Der Herausgeber war Professor Renaud van Quekelberghe, schon der Name klang fremdländisch. Da ging es um psychische Störungen in anderen, oft überseeischen Kulturen. Spannend war das. Ich stelle diesen Forschungsbereich kurz vor.
Die Ränder des Wissenschaftsbetrieb interessierten mich immer am meisten. In seinem Buch Klinische Ethnopsychologie von 1991 schreibt Van Quekelberghe:
Die transkulturelle Psychologie zielt auf die Erforschung der Ähnlichkeiten und Unterschiede des individuellen psychosozialen Handelns in verschiedenen Kulturen und ethnischen Gruppen.
In dem Buch heißt es außerdem:
Transpersonale Psychologie … beachtet besonders solche Zustände, in denen das Identitätsgefühl über die normalen Grenzen von Ego und Persönlichkeit hinauswächst … Sie betont die Bedeutung der Bewußtseinsveränderung und die Gültigkeit der transpersonalen Erfahrung und Identität.
Die transkulturelle Psychologie mag noch angehen, aber die transpersonale … Sie bedroht das schlichte Weltbild des Psychologen, der nichts akzeptieren mag außer dem Hier und Jetzt. Andere Welten und Metaphysik lehnt er ab. Im Lexikon der Psychologie wird sie immerhin erwähnt, die transpersonale Psychologie, und etwas gelobt. Dann aber:
Trotzdem ist sie bisher nicht als fester Bestandteil der Psychologie etabliert: Zum einen lasten ihr viele ihre Nähe zu der als anrüchig wahrgenommen New-Age-Bewegung an. Zum anderen kann sie bisher nicht auf eine einheitliche und ausgearbeitete theoretische Konzeption zurückgreifen. Zudem ist die empirische Überprüfbarkeit der verwendeten Theoriekonzeptionen häufig ähnlich problematisch wie bei der Psychoanalyse.
Renaud van Quekelberghe zitiert einen Autor, der betonte,
wie fremd in manchen afrikanischen und asiatischen Gesellschaftskreisen westliche Dimensionen und Werte wie individuelle Leistung, Problemlösung unter Zeitdruck, Wettbewerb statt Kooperation etc. noch sind.
Schizophrenie scheint nach neuen Erkenntnissen keine universelle Krankheit zu sein, Sie tritt je häufiger auf, ja enger die Menschen mit westlichen Werten verbunden sind. Schizophrenie ist eine Reaktion auf Umweltbedingungen, eine Rettung aus einer vermeintlich ausweglosen Situation.
Vor 40 Jahren ließen sich noch 90 Prozent der Menschen in ländlichen Gebieten der armen Erdteile von Heilern behandeln. In anderen Kontinenten gibt es andere Krankheiten, die als Cultural-Bound Syndrome (CBS) bezeichnet wurden. Dazu gehört etwa Amok, in Malaysia schon von Kapitän Cook 1770 als pengamok beschrieben. Man versuchte es zu erklären und stellte biologische Theorien auf (Malaria, Epilepsie, Alkoholismus), psychologische (psychotische Persönlichkeitszüge, paranoide Verfolgungsideen, rigide Sozialisationsmuster), soziale (Verlust des Sozialstatus, Arbeitslosigkeit, finanzielles Problem als Auslöser) und kulturelle (Frühsozialisierung, Unterdrückung der Aggressivität; Ablehnung von Selbstmord).
Eine andere uns unbekannte Krankheit ist Koro oder Suo-Yang: schrumpfender Penis (als ich damals darüber las, es ist kaum zu glauben, spürte ich es plötzlich selber und musste einen Psychologen anrufen …). Ferner gibt es:
Samenverlust (Prameha/Shen-k’uei)
Figaphobie (Angst vor Verlust der Lebensenergie)
Uqmarigianiq (Inupik)
Uqamainineq (Yupik)
Pibloktog: Arktische Hysterie, durch Isolation, Stress
Susto: diffuses Angstsyndrom (espanto: Seelenverlust)
Taijin Kyofu: Angst vor dem anderen (Schamgefühl).
Menschen aus Südamerika zum Beispiel sprechen ungern von Problemen der Psyche; sie »somatisieren« gern, klagen also über ein körperliches Leiden. Das ist ja auch bei uns so, seelische Probleme erzählt man der Allgemeinärztin nicht so gern, man möchte ein konkretes Leiden präsentieren. Vermutlich gibt es im Medizinstudium keine Kurse in Ethnomedizin oder Ethnopsychologie, aber man kann sich denken, dass manchmal Migranten aus Syrien oder der Ukraine krank sind und vielleicht anders denken als wir. Man müsste sich mittels eines Übersetzers behutsam dem Problem nähern; aber dafür ist in der Arztpraxis vermutlich keine Zeit. Medikament verschreiben, Gute Besserung und ma’a salama oder doswidanja, also tschüß!