Americanah (3): Bloß weg von hier!

Neben der Blackness geht es in dem Roman natürlich ums Wegkommen von Nigeria, das lange britische Kolonie war. Die USA sind ein befreundeter Staat, und so kann man ganz legal zu einem Visum kommen, vielleicht sogar die Green Card erwerben. Obinze, der frühere Partner von Ifemelu, reist allerdings nach England. Schlägt sich dort durch.

Bei einer Cocktailparty meint ein weiblicher Gsst, Alexa, der Premierminister müsse sicherstellen, dass das Land eine Zuflucht bleibe. Sie ruft aus:

»Menschen, die fürchterliche Kriege überlebt haben, müssen unbedingt hereingelassen werden!« Sie wandte sich an Obinze: »Bist du nicht dieser Meinung?«

Obinze sagt natürlich ja, doch er spürt leichte Ablehung durch seinen Körper fluten wie einen Schauder. Und er denkt nach:

uAlexa und die anderen Gäste, vielleicht auch Georgina, alle verstanden das Bedürfnis, jener Art von Armut entfliehen zu wollen, die die menschlichen Seelen zerdrückt, aber nicht verstehen würden sie das Bedürfnis, der bedrückenden Lethargie entkommen zu wollen, die durch die Ausweglosigkeit entsteht, keine Wahl zu haben. Sie würden nicht verstehen, warum Menschen wie er, die in der Kindheit genug zu essen und zu trinken bekommen hatten, in Unzufriedenheit lebten und von Geburt an konditioniert waren, woandershin zu schauen, überzeugt davon, dass das wahre Leben in jenem Woanders stattfindet, jetzt Risiken auf sich zu nehmen und Illegales zu tun gewillt waren, sie, von denen keiner hungerte, vergewaltigt worden war oder aus niedergebrannten Dörfern stammte, weil sie einfach hungrig waren nach Wahlmöglichkeiten und Freiheit.

Zwei lange Sätze, schwer zu übersetzen. Die bedeutendsten Psychologen haben auch erklärt, dass das Gefühl der Sinnlosigkeit absolut zerstörerisch sein kann. Ein Bürger der Europäischen Union darf sich in jedem Mitgliedsland niederlassen und neu anfangen, wenn er das Gefühl hat, dort könne er sich eine gute Existenz aufbauen. Außereuropäischen Menschen ist das verwehrt. Sei werden eingeschlossen, überwacht, dürfen nicht arbeiten, und es herrscht die Befürchtung, sie nähmen uns unsere Jobs weg und unser Geld. Man möchte sie wieder zurückschicken.

Die da sind, sollen »integriert« werden. Sie wollen es ja gern selber.

Er (Obinze) las zeitgenössische amerikanische Romane, weil er hoffte, in ihnen eine Resonanz zu finden, eine Formulierung seiner Sehnsucht, einen Sinn des Amerikas, von dem ein Teil zu sein er sich erträumte. Er wollte etwas über das Alltagsleben in Amerika erfahren, was die Leute aßen und was sie nicht losließ, worüber sie sich schämten und was sie attraktiv fanden, uns so las er Roman um Roman und war enttäuscht: Nichts war schwerwiegend, nichts ernst und nichts wichtig, und das meiste löste sich in einem ironischen Nichts auf. 

Auch bei uns ist kulturell nicht mehr viel los. Wir merken es nur nicht. Wo sind unsere Werte? Und sonst? Ermenike. Gut integriert, bestens!

Er war mit einer britischen Frau verheiratet, lebte in einem britischen Heim, arbeitete in einem britischen Job, reiste mit einem britischen Pass … Sein Rückgrat war geladen mit Selbstzufriedenheit. … In dem Restaurant in Kensington brannte auf dem Tisch eine Kerze, und ein blonder Keller servierte Kügelchen, die wie grüne Gummis aussahen. … »Fantastisch!« sagte Ermenike und gab sich augenblicklich einem der Rituale seines neuen Lebens hin, und mit gefurchten Augenbrauen und scharfer Konzentration studierten er und Giorgina die Speisekarte. … Es wunderte Obinze, wie ernst Ermenike diese Initiation in das Voodoo des gepflegten Speisens nahm …

Obinze fällt ein, wie sich alle über Nigerianer lustig machten, die ins Ausland gingen und dort Toiletten reinigten. Das fällt ihm ein, als er in London selber gezwungen ist, Toiletten zu reinigen, um Geld zu verdienen. Eine Pro-forma-Hochzeit würde ihm bei der Integration helfen, doch die Polizei trifft Minuten vorher ein, und Obinze wird nach Nigeria »zurückgeschafft«, wie der Schweizer sagt. In Deutschland und Italien möchte man am liebsten Tausende zurückschicken und gleichzeitig die Grenzen dichtmachen. Wenn das Geld sein Haupt erhebt, wird’s für die Werte schwer.

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.