Americanah: Lagos, London und New York

Die Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie hat das Buch Americanah schon vor 10 Jahren veröffentlicht, doch es ist frisch wie am ersten Tag. Es geht um Nigerianer in den USA, um Emigration, um die Lage der Schwarzen in Amerika. Aber es ist auch ein hellsichtiges, menschliches Buch: Die Autorin entschlüsselt Kommunikation, spürt Zwischentöne und kann sie sprachlich auch ausdrücken, diese so wichtigen Nuancen.

Die Erzählerin Ifemelu lässt sich in den Vereinigten Staaten nieder und bleibt 15 Jahre. Sie arbeitet eine Weile in Princeton, in der heilen Welt von Forschung und Lehre. Dann kehrt sie (gegen Ende des Buches) nach Lagos zurück. Erst beobachtet sie die USA wie eine Außerirdische, danach richtet sie diesen Blick von außen auf ihr Heimatland — nachdem sie durch die vielen Jahre in den Staaten zu einer Americanah geworden ist. Wieder Befremden. Dieser ethnographische Blick gefällt mir. Wir sollten, wenn wir dazu in der Lage sind, unsere Welt sehen wie ein Ethnologe. Das muss man können. Auch sich selbst sollte man von außen betrachten können.

Statt längeren Analysen einfach ein paar Zitate, die ich mir herausgeschrieben habe. Es sind wunderbare Stellen.

Obinze hatte es immer irritiert, wie wichtig es für sie (Kosi, seine nigerianische Frau) war, eine rundum angenehme Person zu sein und keine Ecken und Kanten zu haben. …  Jeden Satz, den sie seinen Onkeln sagte, beendete sie mit »Sir«. Sie legte den Töchtern ihrer Cousind Haarbänder an. Es lag etwas Unbescheidenes in ihrer Bescheidenheit: Sie machte sich geltend.

Schwester Ibinabo war mächtig, und wenn sie vorgab, diese Macht die anderen nur leicht spüren zu lassen, war sie darum nur um so mächtiger. … Ihre (Ifemelus) Mutter war eine freundlichere und einfachere Person, aber wie Schwester Ibinabo eine, die leugnete, dass die Dinge waren, wie sie waren.

Sie stand an der Peripherie ihres eigenen Lebens: Sie teilte einen Kühlschrank und eine Toilette, diese dünne Intimität, mit Leuten, die sie überhaupt nicht kannte: Leute, die in Ausrufezeichen lebten. »Great!« sagten sie oft. »That’s great!«

Auch Beziehungen und die Liebe schildert Chimamanda Adichie mit großer Sensibilität und Überblick. Doch vor allem durchschaut sie das Treiben in der »Make-Believe«-Gesellschaft — wie Protagonisten der besseren Kreise sich etwas vormachen und gut dastehen wollen. Frauen ziehen an, was sie in den Augen der anderen richtig aussehen lässt; Männer sagen, was sie nicht glauben, aber geglaubt haben wollen; die, die weniger haben, reden denen nach dem Mund, die mehr haben. Die Autorin schildert Cocktail-Parties in Lagos, London und New York, und alles wirkt ähnlich. Frauen in London klopfen sich selbst auf die Schultern, weil sie arme Menschen unterstützen, und die oberen Kreise Nigerias seien eine, wie jemand sagt, »Arschkriecher-Gesellschaft«. Wenn Geld das Wichtigste ist, verändern sich die Menschen zu ihrem Schlechten.

Ein unglaublich gutes Porträt der 20-Millionen-Stadt bietet der Film aus der CNN-Reihe »Parts Unknown« mit Anthony Bourdain vom Oktober 2017, und das ist vor allem der Kamera-Arbeit (Morgan Fallon) und den Schnitt zu verdanken. Da ist Tempo drin und Dynamik, das ist Lagos!

Leider muss Ifemelu, die Feministin ist, auch erkennen, dass viele Frauen in Lagos auf Männerjagd gehen. Die Liebe zählt nicht, geheiratet wird, wer die Frau gut versorgen kann. Hat ein Mann eine Frau ins Bett gekriegt, präsentiert ihm diese schon am nächsten Morgen eine Liste mit Dingen, die sie unbedingt braucht. Ihre Freundin Ranyinudo sieht Männer nur als Quelle von Luxusgütern, die sie verlangt. Von einem Mann sagt sie »Hey, da ist eindeutig gutes Ehemann-Material!« Und Esther beklagt, Ifemelu verschrecke mit ihren harten Aussagen die Männer. Das ist irgendwie verdeckte Prostitution.

Tante Uju hatte es geschafft: Ein General umwarb sie, kaufte ihr ein Haus, und sogar ein Kind hatten sie zusammen. Da stürzt sein Flugzeug ab, vermutlich vom Staatschef so gewollt, um interne Kontrahenten zu beseitigen. Der General ist tot. Am nächsten Morgen stehen Verwandte vor Ujus Haus und beschimpfen sie als »Hure«. Sie solle schnellstmöglich verschwinden.

Der Vortrag »Why We All Should Be Feminists«, den Chimamanda Adichie im Jahr 2013 ablieferte, ist großartig. Er dauert nur 30 Minuten und ist auf Youtube zu sehen. Es gibt deutsche Untertitel. Sie erwähnt (als Ifemelu) auch einen von mir verehrten Autor und ein tolles Buch: Derek Walcott und The Heart of the Matter von Graham Greene. Da stimme ich voll zu.

 

 

 

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