Heiner Link

Meine nette Nachbarin Anneliese hat den richtigen Namen, denn sie liest viel, und wir tauschen uns über den Balkon über Bücher und die Welt aus, so ist man nicht ganz alleine mit dem geistigen Stoff. Kürzlich präsentierte sie mir das Buch Hungerleider (1997) von Heiner Link, 2002 bei einem Motorradunfall umsLeben gekommen. Ich informierte mich im Internet und erlebte eine Überraschung.

Heiner Link hat in Eichenau gelebt, in einer Doppelhaushälfte mit Frau und Kindern, und in diesem Ort westlich von München, der sonst nur durch Herbert Riehl-Heyse bekannt ist, habe ich auch 15 Jahre verbracht, von 10. bis zum 25. Lebensjahr. Trotzdem nie von Link gehört, wie kann das sein? Er ist eine große Nummer. Hungerleider habe ich von Anfang bis Ende schnell gelesen. Ein Trip.  

Unsere Familie in Eichenau, 1968

Immerhin 7 Werke in 6 Jahren und 7 Zeilen bei Wikipedia. (Ja, Link hinzufügen.)  Wie charakterisiere ich Hungerleider? Es ist ein fast automatisch geschriebener Monolog über sein Leben und seine Vergangenheit, und das ist grell und böse und erhellend. Es ist so bayerisch. Bier und Sex (»abspritzen«), die Arbeit und die S-Bahn, Bundeswehr und Schule, Gartenarbeit und Kino und Feiern mit noch mehr Bier.  

Link sieht sympathisch aus, eigentlich hatte man nach diesem Text vermutet, dass er unsympathisch aussehen müsste, auch wenn der Monolog eben bayerisch ist, nicht abgrundtief negativ, sondern auch traurig, dem Leben zugewandt dennoch, voller Liebe, aber die Romantik darf nicht so raus, geht auch nicht, das Leben ist ja so banal. Doch er erreicht sprachlich ungeahnte Höhen, er zeigt uns unsere banale Umwelt und unsere Lächerlichkeit. Literarisch könnte man als Nachbarn Flann O’Brien und Thomas Bernhard nennen. Vielleicht helfen einfach ein paar Zitate. 

»Was ich nicht verstehe ist, dass niemand weint. – Eine Frau an meiner Seite wäre hilfreich gewesen, aber was soll das Leben denn noch alles bieten. – Der Reichtum an Träumen ist eine unabdingbare Voraussetzung, traumatische Zustände zu überwinden. – Es donnert munter eine S-Bahn vorbei, transportiert sicher und komfortabel junge und alte Menschen aus der Stadt in die Vorstadt, wo sich die Menschen noch mit Seife waschen. — Ach so, da war noch die mit dem gelben Pullover. König Alkohol alleine hab ich es zu verdanken, dass ich sie schließlich über mich gestülpt spüren konnte.« 

Man könnte seitenweise zitieren, so herrlich ist das (bis auf das letzte Zitat, na ja.). In Bayern hätte man ihn früher einen Grantler genannt, aber es ist kein dumpfes Granteln, sondern ein scharfsichtiges Grollen, ein Grummeln, ach, es ist ein einziger verbaler Erguss. Am besten lesen: den Hungerleider. Heiner Link war auch so lebenshungrig, und etwas Selbstzerstörerisches kommt immer durch. Wie die Leute dann ihr Schicksal immer vorherahnen! 

Auf der letzten Seite des Buches schreibt er: »Ich bin kurz vorm Derrennen. Ich werde mich wahrscheinlich derwuzeln.« Bis zu seinem Unfall mit der Harley am 30. Mai 2002 blieben ihm da noch fünf Jahre. Da hat er noch einiges hingekriegt. Es gibt auch eine Seite für ihn, und der erste Eintrag im Kondolenzbuch lautet: In Eichenau sei Heiner Link nicht vergessen.    

Ergänzung: Dann holte ich mir den Roman Frl. Ursula, mit dem der Autor posthum 2003 einen Sensationserfolg erzielte. Man hätte es ahnen können: Wenn etwas Erfolg hat, kann es nur falsch sein.  In dem Buch, das ich etwas angewidert nur querlas, finde ich wenig von des Hungerleiders Qualitäten. Es geht eigentlich nur um Sex, und das ist trist und führt nicht zu Erkenntnisgewinn. Es ist Schmuddelkram, unteres Niveau; darum der Erfolg.    

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