Chinesische Weisheit
Vor zwei Jahren hatte ich das chinesische I Ging vorgestellt, unter dem Leitmotiv Orakel (was ihm etwas Unrecht tut). 64 Zeichen gibt es, die in einander übergehen; es geht um Verwandlungen. Doch steckt viel mehr darin, es ist ja ein Weisheitsbuch, das mit den grundlegenden Fragen begann und zu einem System führte. Ich finde es immer wichtiger, die Urtexte heranzuziehen statt etwas erklären zu wollen. Sie prägen sich besser ein.
Richard Wilhelm hat das Buch ja vor 100 Jahren übersetzt. Der zweite Teil heißt Besprechung der Zeichen und legt dar, wie alles anfing. Was macht die Welt um uns herum aus, welche Eigenschaften bemerken wir? Das ist heute so stichhaltig wie vor 3500 Jahren, als das Buch entstand. Der SINN, der erwähnt wird, ist TAO im Tao te-King des Lao-tse, das Unnennbare, hinter den Dingen stehende: die Schöpferkraft. Paragraph 2:
Die heiligen Wesen vor alters machten das Buch der Wandlungen also: Sie wollten den Ordnungen des inneren Gesetzes und des Schicksals nachgehen. Darum stellten sie den SINN des Himmels fest und nannten ihn: das Dunkle und das Lichte. Sie stellten den SINN der Erde fest und nannten ihn: das Weiche und das Feste. Sie stellten den SINN des Menschen fest und nannten ihn: die Liebe und die Gerechtigkeit. Diese drei Grundkräfte nahmen sie zusammen und verdoppelten sie. Darum bilden im Buch der Wandlungen immer sechs Linien ein Zeichen.
Beim Sinn des Menschen dachte ich gleich an Emanuel Swedenborg, der 1758 in Himmel und Hölle das bestätigte. Die Liebe mache den innersten Himmel aus und entspreche der Wärme der Sonne; die Gerechtigkeit/Wahrheit sei deren Licht, sie sei der Liebe untergeordnet. Das Dunkle ist die Nacht, das Helle der Tag, und beides ist auch im übertragenen Sinn zu verstehen. – Dann werden in Paragraph 4 die Naturkräfte benannt als da sind Donner, Wind, Regen und Sonne. (Oben ein Foto von Carol M. Highsmith: Cycling through Paradise: Radfahrer bei einem Umzug in Pasadena 2013. Dank an die Library of Congress, Wash. D. C.)
Grundsätzlich ist dann wieder Paragraph 5:
Gott tritt hervor im Zeichen des Erregenden, er macht alles völlig im Zeichen des Sanften, er lässt die Geschöpfe einander erblicken im Zeichen des Haftenden (des Lichts), er lässt sie einander dienen im Zeichen des Empfangenden. Er erfreut sie im Zeichen des Heiteren, er kämpft im Zeichen des Schöpferischen, er müht sich im Zeichen des Abgründigen, er vollendet sie im Zeichen des Stillehaltens.
Im Frühling wirkt das Zeichen des Drachen das Erregende, bis im Verlauf des Jahres wir am Ende beim Stillehalten ankommen, im Winter. Warum hier plötzlich Gott genannt ist und nicht der SINN, weiß ich nicht. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis das Buch der Wandlungen vollendet war, und das Tao war vielleicht nur eine vorübergehende Phase; von Gott hört man im Fernen Osten wenig.
Er lässt die Geschöpfe einander erblicken im Zeichen des Haftenden … Das ist schön und erinnert an den alten biblischen Spruch, der Mann soll am Weibe haften. Und der Kampf ist sinnbildlich gemeint, ganz friedlich: Du kämpfst im Zeichen des Schöpferischen. Und jetzt, im Winter, beim Stillehalten, vollenden wir die Dinge. So soll es sein.