Heute ist Bourdain-Day!
Heute ist Bourdain-Day! An diesem Tag vor 69 Jahren wurde er geboren. Ich muss noch einmal über ihn, über Anthony Bourdain, schreiben, weil die 100 Reisefilme, die er von 2013 bis 2018 mit seinem Team drehte, so außergewöhnlich sind. Vorgestellt werden Regionen und Städte unseres Erdballs, die man zwar kennt, die einem aber neu angeboten werden, als wären sie Parts Unknown (Unbekannte Teile, so der Titel der Reihe).
Die Beiträge für Parts Unknown von CNN sind alle auf Youtube verfügbar. Ich habe bislang fast alle gesehen. Aber wie bereits geschildert, hat sich in den acht bis zehn Jahren, die seither vergangen sind, vieles geändert. Hoffnungen ließen sich nicht halten, Regierungen wurden strenger und beschränkten die Freiheit, fremde Mächte wirkten im Hintergrund mit. Wir müssen das mit Bedauern zur Kenntnis nehmen. Wir leben zwar seit 1962 im Wassermann-Zeitalter, doch es wird 2000 Jahre währen, wir stecken also noch in den Anfangsschwierigkeiten. Es ist vielleicht die »Erstverschlimmerung« …
Hongkong (Film im April 2018 gelaufen) hatte 1997, als der Stadtstaat an China überging, unter dem Siegel one state, two systems die Zusicherung, dass es seine Freiheit behalten dürfe. Doch China lässt seine Hand spüren, da geht es totalitär zu, und 28 Jahre nach der Übergabe wirkt Hongkong, wie manche sagen, zuweilen wie eine Stadt auf dem Festland.
So ist das. Was nichts an der Machart der Filme ändert. Sie wurden gründlich vorbereitet, und der Wille, etwas anders zu machen, ist spürbar. Da ist Dynamik drin in den 40 Minuten langen Beiträgen, sie sind schnell geschnitten, dann wieder mit Zeitlupen-Einstellungen versetzt, und unterlegt sind sie mit Rockmusik, zuweilen auch mit Metal oder mit Folklore. Die Überraschung ist Trumpf, und Bourdains Introduktion kommt rasch auf den Punkt, umreißt das Besondere (und das Bekannte) jeder Gegend, und dann läuft er durch Gassen, trifft Leute und redet mit ihnen, immer höchst interessiert. Eigentlich geht’s ja um das jeweilige Essen dort; und wie sinnlich das gefilmt ist! Die Kamera geht ganz nahe dran, und man bekommt Appetit.
Sie hätten so noch zehn Jahre weitermachen können. Vielleicht folgten die Staffeln jedoch zu dicht aufeinander: von April bis Juni 8 Filme; dann wieder 8 oder 9 von September bis November. Man musste jeden ja vorbereiten! Kameramann und Regisseur (Morgan Fallon oder Zach Zamboni) waren schon 4 Wochen vorher dort und filmten, und später folgte man Bourdains Impulsen und schnitt dann alles zusammen. Man unterschätzt leicht den Aufwand für einen Film. Der »Host« Anthony Bourdain, um den sich alles drehte, war wohl überlastet und fühlte sich einsam, wie er bekundete. Außerdem hatte er Depressionen und eine schwierige Beziehung zu der italienischen Schauspielerin Asia Argento. Aber Pause machen wollte er nicht.
Wieviele Menschen ihn liebten, wurde erst hinterher klar. Sie hatten das Gefühl, einen Freund verloren zu haben, als er am 8. Juni 2018 aus dem Leben schied, dort drüben (vom manipogo-Hauptquartier aus) in Kaysersberg im Elsass. Hunderte schrieben in Kommentaren auf Youtube »RIP Tony«, »Miss you bro«, »Lost a friend«. Niemand begriff es. Bourdain war zu einem Rockstar geworden, der sich mit allen verstand, gute Fragen stellte, alles genoss und allen aus der Seele sprach. »Life Is Good«, sagte er manchmal, es klang aber wie angelernt, denn häufiger noch machte er düstere Anspielungen. Er ging kritisch mit sich um und wollte eigentlich kein Star sein. Er wurde andauernd von Kameras beobachtet, die aber nicht in sein Inneres schauen konnten. In New York ging er kaum mehr auf die Straße, weil er so berühmt war.
Im Nachhinein kommmt es einem folgerichtig vor wie in einer griechischen Tragödie. Er verliebte sich in eine 20 Jahre jüngere Frau, die ihre eigenen Probleme hatte und ihm schließlich schrieb, er solle ihr »nicht auf die Eier gehen«, und er antwortete: »OK«. Anthony war Feuer und Flamme gewesen, doch der Beitrag über Rom (Dezember 2017), in dem er seine Geliebte häufig ins Bild rückte, wirkte langatmig und angespannt. Bei der Episode über Hongkong durfte sie Regie führen, weil der Regisseur kurzfristig ausgefallen war, der Film war ziemlich gut, doch angeblich warf Bourdain während der Dreharbeiten seinen langjährigen Freund Zamboni raus. Das zerstörte vermutlich die Vertrauensbasis mit dem Team, das nunmehr gewarnt war und eine »rote Flagge« sah. Und es wohl dabei beließ.
Tony selber betrank sich an jenem Abend, ging nicht zum Essen mit Eric Ripert und stürzte sich in die Social Media: er, der so gern unter Menschen war! Und so steckte er im Tunnel fest und tat es und tat einer Million Menschen weh, die ihn als Vorbild und Freund sahen. Nicht einmal an seine 11-jährige Tochter dachte Tony; eine Mutter hätte der Gedanke an ihre Tochter wohl vom letzten Schritt abgehalten.
Das ist 7 Jahre her. Doch die Filme bleiben. Sein Stil bleibt. Bourdain sagte einmal, er hasse das »konventionelle Filmedrehen«, er wollte immer etwas Überraschendes, Neues und spornte sein Team dahingehend an. Tony war anders, vielleicht weil er eine Menge Probleme in sich vergrub. Er sagte, was er dachte, und gegen Ende war er verliebt wie ein Teenager und machte dumme Sachen.
Wenn ihr also bei einem Freund oder einer Freundin düstere Bemerkungen wahrnehmt, lasst es nicht auf sich beruhen! Redet mit der/dem Betreffenden, bittet um Aufklärung. Manchmal geht es nur darum, dass jemand eine dunkle Stunde übersteht, in der er/sie keine Hoffnung mehr sieht; doch morgen sieht es womöglich schon wieder anders aus, ja, hinter dem Horizont geht’s weiter!