Alles Theater
In einem Buch über Reinkarnation fand ich eine Stelle von Plotin (205-270), dem Neuplatoniker, die mir sehr gefiel. In seinen Enneaden (bei zeno.org im Volltext) kann ich sie nicht finden, also übersetze ich sie halt aus dem Englischen, es ist ja nicht Literatur, es geht um Konkretes. Ich denke viel über die Greuel der Menschheitsgeschichte nach, und Plotin hat eine Version, die einem hilft.
Es muss in einem der ersten Kapitel der Enneaden stehen.
Die Tiere verzehren einander; Männer greifen einander an, alles ist Krieg ohne Pause und ohne Waffenstillstand: Das gibt der Frage Auftrieb, wie da Vernunft der Autor des Plans sein kann und wie man das alles als gut gelungen bezeichnen kann … Wen stört es, wenn Wesen verzehrt werden, nur um in anderer Form wieder zurückzukehren? Es ähnelt am ehesten dem Mord an einer der Figuren in einem Theaterstück; der Schauspieler legt ein neues Makeup auf und nimmt eine neue Rolle an. Natürlich ist der Schauspieler nicht wirklich getötet worden; aber wenn Sterben nur bedeutet, den Körper zu wechseln, wie ein Schauspieler ein Kostüm wechselt, wenn der Austritt aus dem Körper so ist, wie wenn ein Schauspieler die Bühne verlässt, da er dort nichts mehr zu tun und zu sagen hat, was ist dann das Schreckliche daran, wenn ein lebender Körper sich in einen anderen verwandelt?
Morde, der Tod in all seinen Arten, die Verwüstung und Plünderung von Städten, all das muss auf uns wie wechselnde Szenen eines Stücks wirken; alles sind nur variierte Einzelheiten eines Plots: neue Kostüme; Klagen und Trauer werden pflichtgemäß erledigt. Denn auf der Erde und in der Abfolge der Leben ist es nicht die Seele in uns, sondern der Schatten außerhalb des wahren Menschen, der jammert und sich beklagt und mit dazu beiträgt, das Stück auf die Bühne dieser Welt zu kriegen, die die Menschen in viele ihrer eigenen Bühnen unterteilt haben. All dies ist das Trachten des Menschen, der der nichts anderes weiß als das niedrigere und äußere Leben zu leben, wobei er nicht sieht, dass er in seinem Elend und in seinen ernsteren Vorrichtungen nur in einem Spiel steckt.
Plotin betont noch, dass jeder Mensch an seinem Platz steht und handelt und die Schaupieler alles in das Stück einbringen,
was sie waren, noch bevor das Spiel begann.
Damit kann er nur meinen: Sie bringen Erfahrungen aus früheren Leben mit. Und dann weist Plotin noch darauf hin, dass die Seele Wahlmöglichkeiten hat; der Mensch sei nicht für einen festen Plan geschaffen, er besitze Willensfreiheit.
Ob Shakespeare Plotins Werk gekannt hat? Aus seinem Lustspiel As You Like It (Wie es euch gefällt) ist die folgende berühmte Stelle, die Jacques spricht:
Die ganze Welt ist eine Bühne,
und alle Männer und Frauen sind nur Spieler;
Sie haben ihre Ausgänge und ihre Eingänge,
und ein Mann in seiner Zeit spielt viele Rollen …
Schöner noch im Original:
All the world’s a stage,
And all the men and women merely players;
They have their exits and their entrances,
And one man in his time plays many parts …
