Wir fliegen nach Siam
Heute um 13.15 Uhr startet auf dem Flughafen Zürich ein Flugzeug, in dem wir sitzen werden. Ziel: Bangkok. Vor 20 Jahren war ich in Sri Lanka, und jetzt geht es wieder nach (Südost-)Asien. Von Bangkok fliegen wir dann nach 4 Tagen nach Chiang Mai im Norden, fahren mit dem Zug langsam zurück und verbringen noch ein paar Tage in einem Resort am Meer.
Ich habe mir die Thai-Sprache angeschaut (keine Chance!) und etwas über die Geschichte gelesen. Ein Detail davon muss ich erzählen, weil es mir gleichzeitig bizarr und bekannt vorkam. Zunächst: Siam, wie es immer hieß, war nie eine Kolonie. Es hatte das Glück, ein Pufferstaat zu sein. Im Osten besaßen die Franzosen Vietnam, im Westen die Engländer Birma. Beide wollten sich nicht zu nahe kommen. Natürlich schlossen die Engländer auch Verträge mit den Siamesen (die ersten so genannten Zwillinge waren aus Siam) und holten sich Rohstoffe, und die Gewinne flossen wie gewohnt den Europäern zu. Das alte Lied. Es gab viele Dynastien und Könige in Siam, es ging auch dort um die Macht, und auch dort ging es blutig zu. Und jetzt die bizarre Geschichte, gelesen bei Wikipedia.
1938 wurde ein Mann mit dem komplizierten Namen Plaek Phibunsongkhram, ein Feldmarschall, Premierminister. Er verehrte Mussolini und Hitler, die auf dem europäischen Kontinent von sich reden machten. Und der Mann spielte sich in Siam ähnlich auf; er war es, der dem Land 1939 den neuen Namen Thailand (Prathet Thai) verpasste, an den sich dann alle gewöhnten. Der Mann mit dem schwierigen Namen sprach von einer »Thai-Rasse« und träumte von einem Großthailändischen Reich. Nach einem kriegerischen Konflikt mit den Franzosen und dem Sieg ließ er sich phu nam nennen, Führer.
Er führte den Gruß Heil! ein, sawatdi, der immer noch gebräuchlich ist. Der phu nam befahl westliche Kleidung und verbot die traditionelle. Um ihn entwickelte sich ein übler Personenkult. Trotzdem scheint er eine freundliche, charmante und gutaussehende Person gewesen zu sein (Bild oben links: als Älterer). Seltsam das alles. Man könnte sagen: der Zeitgeist. Aber gab es nicht schon immer gottähnliche, überhebliche Könige, angefangen bei den Ägyptern? Hitler und Mussolini führten diesen Wahnsinn dann im 20. Jahrhundert ein, was sich bis nach Siam (pardon: Thailand) verbreitete. Und der Trumpismus ist nur eine Abschwächung, passend fürs 21. Jahrhundert. Starke Männer kriegen die Macht, weil sie von Millionen anderer bewundert werden, die sich selber für schwach halten.
Die andere Verirrung, der Kommunismus, machte sich im westlichen Nachbarland Kambodscha breit (vorher in China unter Mao). Die Roten Khmer unter Pol Pot versuchten ihn ohne Gnade durchzusetzen und brachten auf den »Killing Fields« 1,5 Millionen Menschen um. Auch hier: Ein Prinzip sollte umgesetzt werden, über Menschen hinweg. Wieviel Leid das verursacht hat!
Hitler nahm sich nach dem Krieg Anfang Mai 1945 das Leben, Mussolini wurde im Juli 1943 vom König abgesetzt (er starb Ende April), und Phibun (wir kürzen seinen Namen mal ab) ging es ein Jahr später genauso. Doch 1948 saß er wieder im Sattel, nur war es nichts mehr mit Führer: Er musste mit dem Parlament regieren und sich gegen mächtige Opponenten wehren. Am 16. September 1957 gab es einen Staatsstreich, Phibun verschwand nach Kambodscha und ließ sich dann in Japan nieder. Er soll auch ein paar Monate in einem Tempel verbracht haben. Am 11. Juni 1964 starb er, knapp 67 Jahre alt.
Verrückte Geschichte. Man muss sie allerdings aus dem Wörtermeer und dem Zeilengrab herauslösen, was Wikipedia darstellt. Phibun kriegt 400 Zeilen, der Lyriker Salvatore Quasimodo 25, Eugenio Montale gar nur 10 (in der deutschen Version), und beide bekamen den Literatur-Nobelpreis. Da stimmt etwas grundsätzlich nicht. Man will auch von Rockgruppen nicht wissen, was genau sie von 2008 bis 2016 getan haben, da muss man kürzen, damit es leserfreundklich wird. So viel will man gar nicht wissen, das vernebelt einem das Hirn, und man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.
