TestpilotInnen (95): Er, Sohn des Armenios
Dass Menschen wieder zurückgehen und sich in Tieren verkörpern, mag ich nicht glauben; aver das ist so in Platos Geschichte. Wie immer vermischen sich Überlieferung und der Mythos. Schön ist das Scglusswort, gerichtet an Glaukon: Wir werden glauben, dass die Seele unsterblich ist und so handeln, dass wir »den Göttern lieb seien«. Wohl möge es uns auf unserer tausendjährigen Wanderung ergehen!
So habe er die ehemalige Seele des Orpheus das Leben eines Schwanes wählen sehen. Denn sie hasste das weibliche Geschlecht wegen seines Todes und wollte nicht von einer Frau geboren werden.
Die des Thamyris habe er das einer Nachtigall wählen sehen. Er habe auch einen Schwan sich durch seine Wahl für ein menschliches Leben entscheiden sehen, und ebenso andere musikbegabte Tiere.
Die nach dem Los zwanzigste Seele habe sich aber ein Löwenleben erwählt. Dies sei die Seele des Telamoniers Aias gewesen, die in Erinnerung an den Waffenkampf kein Mensch habe werden wollen.
Die nächste sei die Agamemnons gewesen; auch sie habe wegen seines Schicksals aus Verbitterung über das Menschengeschlecht das Leben eines Adlers eingetauscht.
Mitten drin habe auch die Seele der Atalante gelost. Sie habe die großen Auszeichnungen eines Wettkämpfers gesehen und nicht vorbeigehen können, sondern zugegriffen.
Nach ihr habe er die des Epeios, des Sohnes des Panopeus, in die Gestalt einer kunstbegabten Frau eintreten sehen, in der Ferne aber habe er unter den letzten die der Lachfigur Thersites einen Affen überziehen sehen.
Zufällig sei die Seele des Odysseus durch das Los als allerletzte zur Wahl gegangen. Aber die Erinnerung an die früheren Nöte hatten sie von allem Ehrgeiz geheilt. So sei sie lange Zeit umhergegangen, habe das Leben eines geruhsamen Privatmannes gesucht und mit Mühe auch gefunden. Alle anderen hatten es verschmäht. Bei seinem Anblick habe sie gesagt, dasselbe hätte sie getan, wenn das Los sie an den Anfang gestellt hätte, und hätte es gern erwählt.
Ebenso seien nun auch die Seelen der übrigen Tiere teils in Menschen übergewechselt teils untereinander: ungerechte verwandelten sich in wilde, gerechte aber in zahme, und alle nur denkbaren Mischungen seien vorgekommen.
Nachdem nun aber alle Seelen ihre Lebensweisen gewählt, seien sie nach der Ordnung, wie sie gelost, zur Lachesis hinzugetreten; jene aber habe jedem den Daimon, den er sich gewählt, zum Hüter seines Lebens und Vollstrecker des Gewählten mitgesendet. Dieser nun habe sie zunächst zur Klotho, unter deren Hand, wie sie eben den Schwung bewirkend an der Spindel drehte, geführt, um das von jedem gewählte Geschick zu befestigen; und nachdem er diese berührt, habe er sie zur Spinnerei der Atropos geführt, um das Angesponnene unveränderlich zu machen. Von da sei er ohne sich umzuwenden an der Notwendigkeit Thron getreten, und durch diesen hindurchgegangen, nachdem auch die andern insgesamt dies getan, seien sie dann insgesamt durch eine atemraubende Hitze auf das Feld der Vergessenheit gekommen, denn es sei entblößt von Bäumen und allem, was die Erde trägt.
Dort hätten sie sich, da es schon Abend geworden war, an dem Flusse Sorglos gelagert, dessen Wasser kein Gefäß halten könne. Ein gewisses Maß nun von diesem Wasser müsse jeder trinken; die aber ihre Vernunft nicht schütze, tränken über das Maß, und wie einer getrunken habe, vergesse er alles. Nachdem sie sich nun zur Ruhe gelegt und es Mitternacht geworden, sei ein Ungewitter und Erdbeben losgebrochen, und plötzlich seien sie dann der eine hierhin der andere dorthin hinauf ins Leben getrieben worden, hüpfend wie Sterne. Er selbst habe vom Wasser nicht trinken dürfen, wodurch und wie er aber wieder zu seinem Leibe gekommen, wisse er nicht, sondern nur, dass er plötzlich morgens aufschaute und sich auf dem Scheiterhaufen liegen sah.
So blieb diese Rede, Glaukon, erhalten und ging nicht verloren, und könnte auch uns erhalten, wenn wir ihr folgen; wir werden dann den Fluss der Lethe gut überqueren und unsere Seele nicht beflecken. Nein! Wenn es nach mir geht, glauben wir, dass die Seele unsterblich ist und in der Lage, alles Übel und alles Gute zu ertragen. Wir werden uns immer an den Weg oben halten und uns der Gerechtigkeit aus Einsicht in jeder Weise befleißigen, damit wir uns selbst und den Göttern lieb seien, sowohl solange wir noch hier weilen, als auch, wenn wir den Preis dafür davontragen, und ihn wie die Sieger ringsum einsammeln, und damit es uns sowohl hier als auch auf der tausendjährigen Wanderung, die wir eben durchlaufen haben, wohl ergeht.
Quelle: http://www.gottwein.de/Grie/plat/PlatStaat613e.php