Palast des Schweigens

Man muss viel Kondition mitbringen, um Palast des Schweigens zu sehen, einen Film, der 1994 bei den Filmfestspielen von Cannes lobend erwähnt wurde. Der bedächtige, 2 Stunden lange Film spielt im tunesischen Herrschaftshaus, dem Palast, und die Dienerinnen – unter ihnen Khedija, die Mutter der jungen Alia – sind sozusagen Sex-Sklavinnen des Beys und seiner Söhne. 

Gedreht hat den Film Moufida Tlatli, eine bekannte tunesische Filmemacherin, die Anfang 2021 mit 73 Jahren an Covid-19 starb. Der Film spielt in den 1960-er Jahren, Alia ist eine gute Sängerin und kehrt in den Palast zurück, in dem sie aufwuchs. Sie weiß nicht, wer ihr Vater ist und sollte es nie erfahren, denn die eherne Regel für die Dienerinnen im Palast ist das Schweigen. Als eine Ausgangssperre verkündet wird, sagt eine Küchengehilfin seufzend: »Unser Leben ist eine einzige Ausgangssperre.« Khedija versucht, Alia ihr Schicksal zu ersparen, doch das ist schwer, denn die 16-Jährige ist bereits hübsch und hat eine gute Stimme; der Bey und seine Söhne sind schon auf sie aufmerksam geworden. Ein Sohn sagt ganz klar: »Ich dulde keinen Widerspruch.«

Marcel Reich-Ranicki sagte damals im Literarischen Quartett:

Doch wen eine Skizze des politschen Häftlings namens Frau interesssiert, ein Porträt von Menschen, die lebenslang zur Verfügung stehen müssen, der sollte diesen subtilsten Gefängnisfilm aller Zeiten sehen.

Viele Szenen spielen unten im Keller, wo die Küche angesiedelt ist, und dann sagt eine Frau zu Khedija: »Du sollst zu Sidi Ali kommen.« Wieder ein Bußgang. Die Frauen arbeiten unten und singen, aber über ihnen schwebt eine konstante Bedrohung. Wieder gibt es ein Fest, die Limousinen fahren vor, es wird geplaudert und gespeist, die Dienerinnen laufen, und die Herrschaften brüsten sich. Wie lange wird man Alia noch verstecken können? (Im Bild rechts sagt Khedija ihrer Tochter, sie solle im Zimmer bleiben. Die Fotos sind von Pegasos, danke.)

Die erste Einstellung des Films zeigt eine Minute lang das wunderschöne Gesicht Alias, das kindlich wirkt und melancholisch; und dann fängt sie an zu singen und verwandelt sich. Alia ist schwanger wie ihre Mutter, die an einer Abtreibung starb. Alia will aber, am Ende deutet es sich an, das Kind behalten. Sie hofft auf ein Mädchen, und sie würde es Khedija nennen.

Der Film ist der Mutter der Regisseurin gewidmet: à ma mère. Hend Sabri spielte die junge Alia, Ghalia Lacroix die erwachsene und Amel Hedhili ihre Mutter Khedija. Die Musik hat der bekannte tunesische Komponist Anouar Brahem beigesteuert.

 

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