Trost durch Tote
Es ist für mich tröstlich zu sehen, dass auch in Werken von heute Geister ihren Auftritt haben dürfen. Verstorbene erscheinen, ganz selbstverständlich, und spenden Trost. Das war so in Heldin, dem neuen Film von Petra Volpe, und auch in dem Buch Doppelleben von Alain Claude Sulzer erleben wir eine Erscheinung mit. So etwas freut den Jenseitsforscher!
Heldin ist erst Ende Februar herausgekommen. Wir folgen einer Pflegefachkraft durch ihren Spätdienst im Kantonsspital Zürich. Alle wollen etwas von ihr, 25 Patienten sind auf der Station, und sie sind nur zu zweit. Man steckt nun in der Haut dieser Krankenschwester und leidet mit ihr. Man versteht sie. Irgendwo hat dann mal ein Geist seine kurzen Auftritt; wir sagen nicht, wo und wann. Der deutsche Titel ist idiotisch; im Englischen heißt der Film Late Shift (Spätschicht), das ist cool und neutral. Die Deutschen brauchen anscheinend immer ihre Portion Pathos.
Dann las ich diesen Roman von Alain Claude Sulzer. Doppelleben ist da ein hervorragender Titel und bezieht sich auf vieles: Edmond und sein jüngerer Bruder Jules (de Goncourt) leben ihr Leben gemeinsam und fast so symbiotisch, als wären sie Zwillinge. Ihr Hausmädchen Rose wird von ihnen verehrt; und Rose verliebt sich in einen Mann und stiehlt für ihn, während sie bei den Goncourts die zuverlässige Haushaltskraft mimt. Und die Brüder schreiben über ihr Leben ein Buch und verdoppeln somit Roses Existenz, die dann überraschend endet. Monate danach:
Eines Nachts stand Rose im Zimmer und rief ihn leise: JULES. Sie war gut sichtbar, wenngleich sie ihm etwas größer erschien als früher. … Sie rief so leise, dass er sie kaum verstand, doch erkannte er ihre Stimme sofort… Roses Geist näherte sich unhörbar, setzte sich leicht wie ein Luftzug auf den Bettrand und wachte an seiner Seite, atmete nicht, bewegte sich langsam, fuhr ihm durchs Haar über die feuchte Stirn, übers Kinn und murmelte Dinge, … freundliche Dinge, wie die Mutter zu einem Kind, es beruhigte ihn sehr. Er schlummerte ein. Sein Kopf lag schwer in ihrer schwebenden Handfläche.
Zurück zum Krankenhaus. Die Serie Doctor House mit Hugh Laurie habe ich gern verfolgt. Jede Folge endete auf dieselbe Weise: Musik wurde eingespielt, die Kamera entfernte sich, und wir sahen (wie Gott) in Zimmer hinein, in denen jemand schrieb oder umherwanderte, und manchmal stand auch lächelnd jemand da, der kurz zuvor gestorben war. Ich glaube nicht, das ich mir das eingebildet habe. Das war immer so schwebeleicht und melancholisch, wie Stummfilm mit Musik, und die Botschaft war: Nehmt es nicht so ernst, es ist ein Film, und wäre es kein Film: Macht so weiter, beharrlich, alles fügt sich, alles entspannt sich, das Leben ist eine wunderbare Schöpfung.
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Trost durch Tote, das passt wieder einmal perfekt. Gestern schenkte mir eine Frau eine Rose, ich war beglückt, doch erst später, als ich heimgekommen war, wusste ich plötzlich, dass es sich um eine Botschaft handelte von jemandem, zu dem gestern genau vor 5 Jahren der Kontakt abgebrochen war. Ich hatte nie wieder von ihr gehört, beffüchtete aber … Wie sonst könnten Verstorbene einem ein Geschenk schicken als durch eine Botin, die sie gedanklich beeinflussen? Und es war wieder an einem Jahrestag. Einmal hatte ich ja, exakt 10 Jahre nach dem Tod meines Schwagers, in Rom an ihn gedacht, und dann lag eine Rose auf dem Sattel meines Fahrrads.
… oder sollte ich mich geirrt haben? Auf Frau Krügers Todesanzeihe wird die Rose aus dem kleinen Prinzen zitiert. Hat Frau Krüger die Rose mir zugedacht? Das müsst ihr mir irgendwie sagen; klärt das bitte, Leute!
Bilder: oben japanische Schwestern bereiten einen Patienten zur Operation vor, 1905, Underwood & Underrwood; unten Veranda im General Letterman Hospital, San Francisco. Dank an die Library of Congress, Wash. D. C.