Kipling und das Unsichtbare
Ich hatte auf manipogo einmal Hemingways Eisberg-Theorie erwähnt. Selten, dass jemand etwas allein aus sich schöpft; es gibt Vorläufer. Rudyard Kipling hat so etwas in seinem Buch Something About Me dargestellt. Wir zitieren es.
Wir erinnern uns: Hemingway meinte, auch Stellen, die man aus einem Text streiche, blieben unsichtbar erhalten, seien noch anwesend und schwängen mit. – Kipling, der von 1865 bis 1936 lebte (Hemingway kam 1899 zur Welt), war berühmt durch sein Dschungelbuch.
Er schrieb, jemand habe ihn das gelehrt, leider fehlt mir der Name. Vermutlich war es sein Vater, mit dem er oft über Literatur diskutierte. Sein Buch trug mir ja einmal eine wichtige Botschaft meines Vaters zu. Er, Kiplings Vater vermutlich, …
… lehrte mich, dass eine Geschichte, aus der Teile wie mit dem Rechen entfernt wurden, wie ein Feuer ist, das man geschürt hat. Man weiß nicht, dass diese Operation vorgenommen wurde, doch jeder spürt die Wirkung. Vergesst aber nicht, dass der herausgeschnittene Stoff ehrlich dazu gedacht gewesen sein muss, hineinzugehören. Ich erinnere mich, dass ich, wenn ich Probleme befürchtete, mich knapp hielt, und von Anfang an ging dadurch viel Salz verloren. Dies stützt die Ansicht, dass die Schimären, die eingeführt und dann wieder entfernt wurden, in der Lage sind, sekundäre Effekte »in vuoto« zu erreichen (im Leeren).
Klingt ein wenig schwierig. Die Schimäre war ja im alten Griechenland ein Fabelwesen und musste später als Name für Trugbilder und Hirngespinste herhalten. Zu Hemingway hatte ich geschrieben (in Lebende Stimmen):
Doch das Geschriebene hat auch seine Geheimnisse und seine Tiefe. Ernest Hemingway (1899-1961) hat einmal gesagt, was abgedruckt sei, entspreche in etwa den sichtbaren 20 Prozent eines Eisbergs. Wenn ein Schriftsteller aufrichtig und gut sei, könne er vieles wegkürzen (viele Adjektive seien verzichtbar, meinte er), doch unterirdisch/unbewusst werde gleichwohl alles transportiert, was ihm wichtig sei.
Irgendwie esoterisch. Du streichst etwas, und es ist immer noch da. Es war mitgedacht und klebt unsichtbar weiter an dem, was stehengeblieben ist. Dass wir uns an Bücher anders erinnern, als sie wirklich waren., liegt einesteils daran, dass wir sie mit unserer Biografie vermischt haben, aber vielleicht auch daran, dass wir unbewusst etwas aufgefangen haben, was unter dem Text lag, nicht einmal als Subtext, sondern als Leerstelle.
Für unser Leben denke ich, daran anschließend, dass wir ja vieles umsetzen wollten, jedoch nicht alles gelang. Was wir wollten, ist gleichwohl registriert und kommt uns zugute. Vielleicht ist es in einer Parallelwelt verwirklicht worden. Wichtig ist unsere Motivation.
Ich denke auch, dass es wichtig ist, was jeder einzelne tut. Auch wenn niemand manipogo lesen würde, wäre der Blog da. Er wurde gedacht, jemand hat diese Themen verfolgt, und wer weiß, wo und wie diese Gedanken Früchte tragen? Allah (swt) sieht auch das Unsichtbare, steht im Koran. Und im Neuen Testament sagt Jesus, man solle im Geheimen beten, in der Kammer; und man solle nicht zeigen, dass man faste, sondern sein Gesicht salben. Und Almosen solle man auch so geben, dass keiner es merkt.
Und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.