Für Palästina

Heute wollen in Italien viele Tausend Menschen für Palästina demonstrieren, während in Moskau das Ende des Großen Vaterländischen Krieges 1945 mit dem üblichen Pomp begangen wird. Es ist an der Zeit, etwas über den Massenmord an den Palästinensern zu schreiben, den die Israelis vergangenes Jahr begingen. Sie bombardierten ohne Gnade den Gazastreifen und töteten 40.000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder.

Es gibt bereits Bücher über diese unerbittliche und völlig überzogene Rache für den Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023, was eine sinnlose Bluttat (1400 Tote) mit Geiselnahme war. Die Hamas musste wissen, dass Israel so reagieren würde. Vielleicht war es ihr egal.

Das Schlimme ist, dass die kritischen Stimmen ausblieben. Deutschland liefert weiterhin Waffen an Israel und fühlt sich wegen seines beharrlichen, ewigen Schuldgefühls bemüßigt, zu allem zu nicken, was Israel tut. Statt den Massenmord zu thematisieren, erlässt man lieber neue Gesetze, die Antisemitismus unter Strafe stellen. Die Deutschen sind in allem bis zum Letzten konsequent. Israel darf alles. So hat Deutschland sich erneut schuldig gemacht. Die Shoah sollte sich nicht wiederholen, war ein gebetsmühlenhaftes Bekenntnis; aber nichts wiederholt sich auf dieselbe Weise. Etwas Schlimmes, Menschenverachtendes geschah, was irgendwie in diesem Komplex steckte.

Das Menschenleben ist heilig — und da wurden Tausende Frauen und Kinder von Bomben getroffen, und Krankenhäuser wurden zerstört mit fadenscheinigen Begründungen. Eine Anklage wegen Genozids ist anhängig, und man denkt sich: Die Palästinenser will man weghaben, die stören sie, und Trump will das auch, die stören in seinem geplanten Gaza-Resort … Machen Sie unbeschwert Urlaub! Niemand wird Sie stören, denn: Wir haben dieses Land urbar gemacht, dem Erdboden gleichgemacht und seine Bewohner umgebracht.

Da stand einmal die Stadt Richecourt, im Ersten Weltkrieg von den Deutschen zerstört

Ein Buch heißt Die Welt nach Gaza und stammt von dem indischen Schriftsteller Pankaj Mishra. Er sagte Qantara.de:

Die Zerstörung Gazas ist der monströse Höhepunkt einer Entwicklung, die vor allem in Westeuropa und den USA zu beobachten ist. … Im Kern geht es um eine Entwicklung hin zu politischem Nihilismus: eine Ablehnung von Gesetzen und Normen und eine Hinwendung zur Gesetzlosigkeit, in der ohne Einschränkungen Macht und Reichtum angestrebt werden. … Viele im Westen wissen nur wenig über den gewalttätigen Kolonialismus, der sie reich und mächtig gemacht hat. Wir glauben gerne, dass wir Demokratie, Wissenschaft und Technologie erfunden haben, aber wir müssen uns auch mit der Gewalt auseinandersetzen, die einem Großteil der Welt angetan wurde – Gewalt, die bis heute gegen die Palästinenser:innen fortgesetzt wird.

Die Kritik daran wird mit dem Schlagwort antisemitisch abgetan – eine leere Formel, ein billiger Vorwand, um üble Taten zu verdecken. Mit diesem Vorwurf griff Trump-USA zum Beispiel die Universität Stanford an.

Enzo Traverso, ein italienischer Historiker, schrieb Gaza Faces History. Es ist eine Warnung vor Gedenken als Waffe westlicher Dominanz. Es sei ungeheuerlich, dass das Gedenken an einen Genozid einen weiteren decke. Man muss freilich bemerken, dass der Gedanke, der Nazi-Genozid sei in seiner Art etwas nie Dagewesenes, einzigartig in der Menschheitsgeschichte, nicht abzuleugnen ist. Ein Volk sollte radikal und systematisch ausgerottet werden.

Gnadenlose Bombardierungen sind, meine ich, noch kein Genozid. Die Amerikaner haben Laos und Vietnam ebenfalls pausenlos bombardiert, die Allierten warfen Bomben auf deutsche Städte, und natürlich wirft man Bomben, um so viele Menschen wie möglich zu töten. Iran will ja auch Israel ausradieren, und Israel will die Palästinenser weghaben, doch es gibt keine klaren Beweise dafür, dass das in die Tat umgesetzt werden soll.

Doch Israel ist unerbittlich: Man lässt keine Nahrungsmittel in den Gazastreifen. Israel zeigt sich der Weltöffentlichkeit als widerwärtiger Richter und Peiniger. Das wird nie wieder vergessen werden. Ich habe mich immer für die Kabbala interessiert und wollte auch Hebräisch lernen; jetzt habe ich keine Lust mehr dazu. Ich lerne Arabisch und dabei auch viele palästinensische Vokabeln. Wir müssen auf der Seite der Unterdrückten sein. Nie werde ich nach Israel reisen.

Joe Sacco fertigte einen Comic an, der The West Died in Gaza heißt. Er kommentierte:

Journalisten sind meist opportunistisch unterwegs und folgen der dominanten Erzählung. Als ich meine Karriere begann, war Journalismus ein nobler Beruf, doch nun hat sich meine Sichtweise darauf verändert. … Der Westen hat keine moralische Glaubwürdigkeit mehr. Die ganzen großen Worte über Menschenrechte, internationales Recht und regelbasierte Ordnung – das ist alles Mist. Ich muss meine Stimme erheben. Sie ist das Einzige, was ich momentan habe.

Peter Beinart, ein Jude, verfasste Being Jewish after the Destruction of Gaza. Ihn beschäftigt der Horror, den der jüdische Staat begangen habe, unterstützt von vielen Juden auf der Welt. Beinarts Wunsch ist, Gaza möge zum Wendepunkt jüdischer Geschichte werden. Er hat noch Hoffnung.

Der Franzose Didier Fassin nannte sein Buch Moralische Abdankung und äußerte:;

Die Zerstörung Gazas geduldet zu haben, wird als ethisches Versagen eine Spur in den beteiligten Gesellschaften hinterlassen.

Hoffentlich.

 

Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag Wendepunkt, Versagen, moralische Abdankung, in: Qantara.de.
Bilder von der Libraray of Congress, Wash. D. C.: Flugzeug kehrt von Bombenflug nach Tunesien zurück; weitere zerstörte französische Stadt; der Kriegsfriedhof in Beersheba, 1918.  Dank an die Library!

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