Blues People
Wir wollen uns ja während der dunklen Trump-Epoche mehr den Menschen schwarzer Hautfarbe widmen, die es in den Vereinigten Staaten von Amerika nun noch schwerer haben als sonst schon. Amiri Baraka wurde geboren als LeRoi Jones und lebte von 1934 bis 2014. Sein Buch Blues People hat er 1963 geschrieben, und 40 Jahre später hat es der Verlag orange press (damals Freiburg) auf Deutsch aufgelegt.
Ich lebte 2004 in Rom, und Martin Baltes, der Begründer von orange press, brauchte ein Foto von Amiri Baraka, der im September in Rom auftreten sollte. Ich hatte den Auftrag, ihn aufzuspüren und abzulichten. Tatsächlich stöberte ich die Musiker 2 Stunden vor ihrem Konzert im Restaurant auf und fotografierte Amiri. Es wurden schreckliche Fotos, gemacht mit meiner Pentax SP 500, aber weil kein anderes da war, entstand das Plakat, das er mir dann im November bei einer Lesung in Freiburg signierte. (Wir sehen es übermorgen.) Das Konzert in Rom war legendär, und ich verliebte mich in die Sängerin Leena Conquest, die danach (unter einem anderen Namen) eine Rolle in einem meiner Rom-Romane bekam. Sie hat das nie erfahren, denn besonders wichtig ist es nicht.
Es ist ein sehr dichtes soziologisches, aber auch musiktheoretisches Buch, dieses Blues People. Der Weg der Westafrikaner nach Amerika in die Sklaverei, ihre Befreiung und die Erkenntnis, dass sie immer Bürger zweiter Klasse bleiben würden, war begleitet von ihrer Musik in diversen Spielarten, die dann auch bei den Weißen Anklang fand. Da das Buch bereits 1963 geschrieben wurde, fehlt ein Brückenschlag zur Gegenwart. Wie schreibt man das? Vielleicht so:
Der Rhythm’n Blues und die Rockmusik waren ungehemmter Ausdruck, der unbezweifelbar von schwarzem Feeling beeinflusst war. (Damals wachten wir Jungen auf. Das war unsere Sprache, die sich von der der älteren Generation entscheidend unterschied!) Die elektrisch verstärkten Instrumente fachten diesen Furor an. Andere Abarten wie die elektronische Musik und die ambitionierten sphärischen Klänge von Yes, Emerson, Lake & Palmer, von Genesis und Jethro Tull nahmen Anleihen bei der abendländischen Musiktradition.
Da sich dies alles aber im Kontext des westlichen Kommerz vollzog, wurden Songs geschrieben, die Anfang und Ende hatten; höchstens in den 1970-er Jahren wurde improvisiert und experimentiert. Die Leidenschaft wurde also in Formen gepresst (und dann in Schallplatten), nur Konzerte waren Happenings, bei denen die Zuhörer »ausflippten«, wie man damals sagte. Die Revolution wurde kanalisiert, nach dem Punk wurde alles ziemlich brav, und heute sind auch Euphorie und Ekstase wie die ganze Rockmusik nicht mehr echt, sind ein »Simulakrum«, wie Baudrillard gesagt hätte. Sie ahmen Leidenschaft nur nach. Die berühmtesten Rockmusiker sind reich geworden und nun alt, und sonst ist alles fad geworden. Techno ist etwas abstrakt, und Hip Hop basiert wieder auf diesem Macho-Klischee, widerlich ist das manchmal.
Lassen wir uns mit Amiri Baraka zu den Ursprüngen zurückkehren:
Im Allgemeinen wird angenommen, dass der Jazz um die Jahrhundertwende seinen Anfang nahm; aber die Musikformen, von denen sich der Jazz herleitet, sind viel älter. Der Blues ist der Vater aller legitimen Jazzarten, und man kann unmöglich sagen, wie alt der Blues ist – gewiss aber nicht älter als die Anwesenheit der Neger in den Vereinigten Staaten. Er ist eine Musik, die in Amerika entstanden ist, das Produkt der Neger in diesem Land. Oder, um es genauer zu sagen, wie ich es jetzt sehe: Den Blues hätte es nicht gegeben, wenn die afrikanischen Gefangenen nicht zu amerikanischen Gefangenen geworden wären.
Morgen Teil 2.

