Die Gewürzkiste
Das Schöne an den Geschichten von Rachel Remen ist, dass sie nicht nur kluge, gefühlvolle und dennoch einfache Sätze schreibt – und dass dann eine Metapher fällt, die sich einprägt. Oder dass eine symbolische Handlung stattfindet, die man nicht mehr vergisst. In dieser Episode spielt eine kleine Holzkiste eine wichtige Rolle, die wie ein Ritterschloss aussah. 20 Zentimeter hoch soll sie gewesen sein. Es geht um Sexualität.
Die kleine Geschichte heißt Die Würze des Lebens. Die 7-jährige Rachel hatte von einem Onkel ein Buch mit Darstellungen des menschlichen Körpers bekommen, und die Fortpflanzungsorgane, die perfekt abgebildet waren, interessierten sie. Es wurde auch in etwa dargestellt, was zwischen Mann und Frau passiert. Das kleine Mächen zeigte das Buch ihren Mitschülerinnen. Der Direktor war empört und bestellte Rachels Mutter zu sich. Diese blieb cool und fragte, was denn das Problem sei? Und sie sagte: »Es stimmt doch alles, oder?«
Rachel vergaß es wieder, doch nicht ganz. Eines Tages fragte sie den Großvater über den Sabbath aus, und er zeigte ihr die Holzkiste in der Form eines Ritterschlosses. Da seien frische Gewürze drin, verriet er ihr. Dann holte er zu einem Monolog aus. Neshame-le war der Spitzname der kleinen Rachel.
Diese Welt besteht nicht nur aus Arbeit, Neshame-le. Gott hat dem Leben Freude gegeben. Es gibt Freuden wie das Tanzen und Essen und Sehen und Hören, die wir nur hier auf der Erde erfahren können. Und es gibt die ganz besondere Freude, die Menschen einander mit ihrem Körper beweisen. Du weißt doch, wie es ist, wenn du deine Freunde umarmst – wie eure Herzen sich dann treffen? Was für ein süßer Moment das ist? Nun, es gibt noch etwas viel Süßeres. Wenn Erwachsene sich auf bestimmte Weise umarmen, dann können ihre Seelen sich treffen. Diese Freude ist eine der größten Segnungen Gottes, Neshame-le.
Rachel erzählte, dass damals etwas Graues und jede Scham dahinschmolzen. Wenn sogar Gott um diese Dinge wusste, konnte wohl nichts Schlimmes daran sein. Ein Jahr später starb der geliebte Großvater, der Segnungen aussprach und in der Nacht immer den Talmud und die Kabbala studierte. Später kam ihre Mutter auf die kleine Gewürzkiste zu sprechen.
Großmutter sei sehr schön gewesen und von ihrem Mann immer geliebt worden. Sie führten eine traditionelle Ehe nach den Gesetzen des orthodoxen Judentums. Zwei Wochen verbrachten sie in einem Bett, doch wenn bei der Frau die Menstruation einsetzte, war sie unrein und musste ins Badhaus. Sie musste auch in einem extra Bett schlafen. Wenn sie wieder gereinigt war, nahm sie die Gewürzkiste, ging ins Studierzimmer ihres Mannes und stellte sie neben seine Hand auf den Schreibtisch. (Er werde dann still in sich hinein gelächelt haben.) Sie durften wieder beisammensein! Er nahm die Gewürzkiste und brachte sie mit ins gemeinsame Schlafzimmer. Und alle Kinder hätten Bescheid gewusst, sagte lächelnd die Mutter.
Rachel Remen schrieb:
Aber nun hatte er seine Studien beendet und war heraufgekommen. Ihre Trennung war zu Ende, und er konnte wieder in ihren Armen schlafen.
Die Großmutter starb indessen relativ jung. Erst 25 Jahre später folgte ihr Mann ihr.