Was vom Tage übrigblieb

Heute behandelt manipogo den Film Was vom Tage übrigblieb, den 1993 James Ivory gedreht hat. Das passt, weil wir am kommenden Wochenende in Locarno bei den Filmfestspielen Emma Thompson miterleben wollen, die auf der Piazza geehrt wird. Ich hoffe, ich kann ein paar Bilder mit Text davon mitbringen. Emma war damals erst Mitte Dreißig, ihre Karriere begann gerade. Und wie!

Verfilmt hat Ivory (geboren 1928) das Buch The Remains of the Day des Japaners Kazuo Ishiguro, der 2017 den Nobelpreis für Literatur bekam. Er ist 1954 geboren (3 Jahre vor mir!) und fing in den 1980-er Jahren mit dem Schreiben an. Bei Wikipedia steht:

Seine ersten beiden Romane A Pale View of Hills (1982, dt.: Damals in Nagasaki) und An Artist of the Floating World (1986, dt.: Der Maler der fließenden Welt) befassen sich mit den japanischen Kriegserfahrungen während des Zweiten Weltkriegs, insbesondere den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki und dem Umgang der Hauptfiguren mit diesen.

Morgen geht es kurz um dieses schreckliche Geschehen, weil es 80 Jahre her ist. Erst wollte ich den heutigen Tag aus Pietät freilassen, aber nun ist eine Art Brückenschlag geschafft. Den langen, opulenten Film hatte ich vor langer Zeit gesehen und kürzlich nochmals, wobei ich dann eine Art Erleuchtung hatte, als ich an den Autor der Vorlage dachte …

Was passiert? James Stevens (Anthony Hopkins) ist Butler auf dem Gut von Lord Darlington im Südwesten Englands. Erste Hausdame ist Miss Kenton (Emma Thompson). Der Lord lädt in den 1930-er Jahren gute Freunde und deutsche Nationalsozialisten ein, weil er sich für den Frieden einsetzen will. Damit fällt er jedoch der britischen Regierung in den Rücken, die sich von den Nazis fernhält. Hitler bewunderte ja die Engländer, was ihn nicht davon abhielt, 1944 ferngelenkte V2-Bomben in die Hauptstadt zu senden. (Der Roman spielt jedoch im Jahr 1923.)

Stevens ist der perfekte Butler, und mit Miss Kenton ist es das perfekte Team. Die beiden müssen naturgemäß eng zusammenarbeiten, und sie gewöhnen sich aneinander. Doch Stevens gelingt es nie, auch nur einen Funken Gefühl zu zeigen; er wirkt wie ein gut eingestellter Roboter. Miss Kenton öffnet sich, sie verehrt Stevens, und er müsste nur zugreifen … und tut nichts. Vielleicht liebt er sie hinter seiner Fassade auch? Bei einem späteren Treffen (die Rahmenhandlung) bleibt er weiterhin der unnahbare seelenlose Butler.

Stevens lässt sich keine persönliche Meinung entlocken. Er arbeitet eben für Lord Darlington und führt nur dessen Haushalt, in der Tradition des perfekten Mitarbeiters im Hintergrund. Die deutschen Gäste werden angemessen unsympathisch dargestellt, und ein wenig windet sich Stevens, als er zwei jüdische Mädchen wegschicken muss, weil die Gäste das dem Lord eingeredet haben.

Da hatte ich meinen Einfall. Als ich an Ishiguro dachte, der als Kind mit seinen Eltern nach Großbritannien kam und dort immer noch lebt. Der Butler Stevens ist natürlich der typische Samurai, wie ihn die japanische Literatur immer dargestellt hat. Er ist seinem Daimyo (dem Chef) absolut treu, und wenn der Chef stirbt, soll er sich, wie die Tradition verlangt, auch das Leben nehmen. (Ronin heißt übrigens der Samurai, der keinen Chef hat.) Der Samurai hat keine eigene Ziele und keine eigene Meinung. Er ist ein Instrument.

Samurai, 1877 porträtiert von Stillfried & Anderson. Dank an die Library of Congress, Washington D. C.

Bei den Deutschen hieß das Nibelungentreue. Auf dem Koppelschloss der SS stand: Unsere Ehre heißt Treue. Bedingungsloser Gehorsam! Der Führerbefehl war heilig. Du gehst mit ihm in den Untergang, wenn er das will. Diese Unbedingtheit haben auch die Japaner in sich.

Das wirft ethische Probleme auf, die in jedem Leben auftreten können, auch heute. Stehe ich noch hinter den Zielen der Firma? Finde ich es richtig, was mein Präsident tut? Meist sind es Feigheit oder Bequemlichkeit, die Menschen dazu bringen, gegen ihr Gewissen zu handeln und Unschuldige zu töten (oder sie töten zu lassen). Man will seine Privilegien nicht verlieren. Protestierte man, verlöre man alles; tut man mit, beschädigt man sich allerdings selbst. So läuft die Welt auf verderbliche Weise weiter, denn die wirklich Bösen sind wenige. Leider bekleiden sie meist die höchsten Ämter. Doch ohne willfährige Untertanen wären sie zu nichts imstande.

Die republikanischen Abgeordneten in den USA haben den beklagenswerten Bill durchgewunken; schlimmer aber, dass die EU, allen voran Deutschland, sich nicht zu Sanktionen gegen Israel durchringen konnte. Das ist schändlich. Die Israelis haben 56.000 Palästinenser totgebombt, darunter 18.000 Kinder, und andere (viele viele) Kinder hungern oder sind am Verhungern. Die europäischen Politiker verraten die Werte des Christentums und ihres Kontinents. Sollen sie noch einmal von Humanität daherschwatzen! Wir werden sie mit Verachtung strafen.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.