Binnies Welt (3)
Den Multimediakünstler lernt unsere »Nymphomanin« bei einer Austellung kennen. Er stellt ihr viele Fragen; darauf sie: »Möchten Sie jetzt vielleicht noch meine Zähne untersuchen?« So ein Humor gefällt mir. Sie folgt ihm in seinen Loft. Er verkündet, er trinke nicht und rauche nicht.
Sie kann gnadenlos direkt sein:
»Du redest ganz schön viel«, bemerke ich. Ich bin nicht in sein Loft gekommen, um Interesse für seine Theorien über Kunst und die Künstler zu heucheln. »Lass uns zur Sache kommen.« Ich stehe auf und lasse mein Kleid fallen.
Dann geht es eine Weile um Oralsex, als Talent wohl ein Geschenk Gottes, meint die Erzählerin. Warum nicht? Damit kann man Männer glücklich machen. Der Multimediakünstler ist berühmt. Einmal trägt er ein T-Shirt mit dem Aufdruck Universität Heidelberg und lässt durchblicken, dass er deutsche Intellektuelle schätzt. Er ist ja auch Jude, der Künstler, doch sie findet es unschön, wenn Juden Deutsche bewundern. Die Geschichte! Und vor dem Horror gab es Immanuel Kant, der nie etwas mit einer Frau hatte.
Deutsche sind geizig, verrät sie uns. Der Multimediakünstler ist es ja auch auch. Einmal hatte sie eine Begegnung mit einem freakigen, sparsamen Deutschen, einem langhaarigen Biochemiker, der später mitsamt seiner Erektion in ihr Zimmer kam. Er solle abzischen, sagte sie, und dann, deutlicher:
»Verpiss dich aus meinem Zimmer, du Scheißer!«
Er ging zur Tür, und vor dem Hinausgehen sagte er liebevoll: »Du jüdische Hündin!«
Sie war gerade mit dem Multimediakünstler zusammen und schreibt:
Das Aerobictraining, das er als Sex ausgeben will, hat mir Appetit gemacht. … Was das Essen angeht: Es gibt zwei Arten von Männern. Die einen, die einen am liebsten füttern würden, bis man sich wie ein Hund zu Tode frißt. Und dann die anderen, die sich selber füttern, während man zufällig dabei ist.
Zu den ersteren gehört der Killer, zu den zweiten der Multimediakünstler, der berühmte. Der Killer will sie ganz, der Künstler nicht mal halb. Die Geliebte argwöhnt:
Wenn man die Sache genau betrachtet, liegt uns beiden nicht die Bohne am anderen.
Er, der Künstler, sieht die Beziehung als konfliktbeladen. Sie habe ja Spaß, er dagegen …
»Für mich«, fährt er fort, »für mich … also, meine Gefühle gehen tief. Dinge, Ideen, Menschen liegen mit sehr am Herzen.«
Die Reihenfolge sagt ja alles. Ganz abstrakt. Die Erzählerin dafür ist konkret. – Wir wollen noch einmal zeigen, wie verletzlich sie in Wirklichkeit ist. Bei einer Einladung mit 5 Paaren fragt jemand, woran es liege, dass Mädchen Pferde lieben. Und sie kann sich nicht bremsen und erzählt, wie sie, in Griechenland auf einem Esel reitend, einen Orgasmus bekam und vor einer Höhle zwei weitere Orgasmen. Die Gastgeberin ist entsetzt. Die Berichterstatterin flieht ins Badezimmer. Sie spürt Schmerz, nagenden Hunger: eine Leere.
Und so setze ich mich auf den Badewannenrand und umarme mich selber, umschlinge mich, presse heftig, als wäre dieses Gefühl eine Luftblase, die ich so hinausdrücken könnte, wie man Wasser aus der Lunge eines vor dem Ertrinken Geretteten presst.
Übersetzt hat das Buch, 1996 bei dtv erschienen, Barbara Ostrup.
Die Göttin oben rechts ist Diana, mit ihrem Hund.
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Wobei wir ja den Titel nicht erklärt haben. Fällt mir etwas dazu ein? Natürlich, jede Erfahrung, in der Liebe oder sonstwo, schlägt sich nieder. Man wird täglich neu, sieht Dinge anders, es ist nicht zu vermeiden. Am Ende wird sie krank, eine Grippe, und danach ist alles anders. Der Multimediakünstler ist schon verschwunden, der Killer wird ihm folgen. Von ihm will sie sich nicht einkassieren lassen. Ihre Beziehungen hängen alle zusammen, und eine einzige Erschütterung kann alles wegfegen. – Weil ich Binnie so toll finde, habe ich mir ihr Buch »Counting Backwards« bestellt. Es ist eine persönliche Geschichte über ihren Ehemann, der überraschend dement wurde und bald starb. Das werde ich dann später behandeln.
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