Sogyal, Ludwig und andere
Gestern hatten wir ja lange Sogyal Rinpoche aus einem Buch übers Leben und Sterben zitiert, das sich zwei Millionen Mal verkauft hat. Und wie es so ist, seit es Wikipedia gibt, schaut man schnell nach, was das für einer war. Und es stehen einem die Haare zu Berge. Das Buch mit seinen 470 Seiten lese ich trotzdem zu Ende. Es ist gut. Ein Beitrag zu Leben und Werk. Autoren sind keine Heiligen, und manchmal sind sie Teufelchen.
Da war wieder die Duplizität am Werk. Ich gab meiner Schwester das große Ludwig-Thoma-Buch und las dazu einen Artikel von 1996. Der große bayerische Heimatautor, der den Abgeordneten Filser erfunden hat und brillante Humoresken verfasste, schrieb – das kam durch ein Enthüllungsbuch ans Tageslicht – in den letzten zehn Jahren seines Lebens, also bis 1921, im Miesbacher Anzeiger böse antisemitische, rassistische und demokratiefeindliche Artikel. Er war gegen die Weimarer Republik genauso wie ein stumpfer Bauer aus Altbayern.
Da warf ich schon die Frage auf: Hier ist ein Werk, das aller Achtung wert ist; und dort ein Autor, der in die Irre ging, dem man dafür eigentlich verachten möchte. Was tut man da?
Die Heilige Nacht, die in der Adventszeit gern vorgelesen wird, darf man nicht verwerfen. Da gibt’s einen Gesang, der geht so:
Es mag net finsta wer’n,
Es bleibt so hell,
Es rucken Mond und Stern
Net von da Stell.
Sie hamm wia Liachta brennt,
So still ind klar,
Als waar dös Firmament
A Hochaltar.
Und ‚ s is so wundafei,
Wia’s oba klingt!
Dös muaß da Herrgott sei,
Der’s Hochamt singt.
Wenn ich das lese, versagt mir fast meine Stimme, so gerührt bin ich.
Und am Abend schlug ich über Sogyal Rinpoche nach, genauer: Sogyal Gyaltsen Lakar Rinpoche, geboren 1947, gestorben 2019. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde offenbar, dass der Rinpoche dem Buddhismus nicht zur Ehre gereichte. Mehrere Frauen beschuldigten ihn der Vergewaltigung. Er mietete Fünf-Sterne-Hotels und aß die teuersten Steaks. Sogyal Lakar trat im August 2017 als spiritueller Lehrer zurück. Auch da ist etwas schiefgelaufen in der letzten Phase eines Lebens. Lehre und Leben fielen auseinander. Die Theorie klang wunderschön, doch die Verlockung war stärker. Welche Enttäuschung bei den Anhängern!
Bhagwan (oder Osho) hatte ja auch 8 Luxus-Automobile, doch seine Jünger meinen, das sei eher ironisch gewesen, sie seien ihm eben geschenkt worden. Aber die Abhängigkeit weiblicher Mitglieder eines Ordens auszunützen, wie man Sogyal Lakar vorwarf, ist schändlich. Der Guru ist auch nur ein Mensch, könnte man sagen. Doch er ist, wenn er fehlgeht, ein Verräter an einer guten Sache. Er beschädigt das, was er gelehrt hat.
Aber was machen wir mit seinem Werk? Die Tendenz geht ja dahin, es zu verbannen und für tabu zu erklären. Ich aber finde, man könnte es stehenlassen, es abgetrennt von seinem Autor betrachten. Das ist schwierig, ich sehe es ein. Man möchte gern, dass der Verfasser eines großen Werks auch ein großartiger Mensch sei. William Blake hat einmal gesagt: »Ich bin nur der Sekretär; die anderen sind in der Ewigkeit.« Jemandem wird ein Werk anvertraut, doch dann, hinterher, erweist er sich als unwürdig. Doch das Werk ist da. Das Werk kann viel Gutes tun, auch wenn der Verfasser Ungutes getan hat. Lassen wir es dabei.