Primat des Glaubens (2)
Die protestantische Strenge ist sprichwörtlich geworden. Ihre Kirchen sind schmucklos, und das Wolllüstige und Pompöse an der Religion, wie die süddeutschen Katholiken es zelebrieren, ist ihnen ein Greuel. Das Wort dominiert. Sehen wir, wie es Melanchthon weiter erging.
Eines Abends empfand er ein Kältegefühl. Da ging er durch das Haus und stellte fest, dass die übrigen Gemächer mit denen seiner Behausung auf Erden nicht übereinstimmten. Eines von ihnen war angefüllt mit unbekannten Geräten, ein anderes war so klein geworden, dass es unmöglich war hineinzutreten, wieder ein anderes hatte sich nicht verändert, aber seine Fenster und Türen gingen auf große Dünen hinaus. Das Zimmer ganz hinten war voll von Personen, die ihn vergötterten und immer wieder zu ihm sagten, kein Theologe sei ihm an Weisheit gleich.
Diese Vergötterung behagte ihm, aber da eine dieser Personen kein Gesicht hatte und andere Toten glichen, fasste er schließlich Abscheu gegen sie und Argwohn. Da entschloss er sich, einen Lobpreis auf die Liebe zu schreiben, aber die Seiten, die er heute schrieb, waren am nächsten Morgen ausgelöscht. Und zwar geschah dies, weil er sie ohne Überzeugung verfertigte.
Er empfing zahlreiche Besuche von jüngstverstorbenen Leuten, aber er empfand Scham, dass er sich in seiner so schmutzigen Behausung vor ihnen zeigen sollte. Um sie zu dem Glauben zu bringen, er sei im Himmel, traf er eine Vereinbarung mit einem Hexenmeister von denen aus dem Hinterzimmer, und dieser täuschte sie mit allerlei Blendwerk von Glanz und Heiterkeit. Kaum jedoch zogen die Besucher sich zurück, so erschien auch wieder die Armseligkeit und der Kalk, manchmal auch schon ein bißchen eher.
Die letzten Nachrichten von Melanchthon besagen, dass der Hexenmeister und einer der Männer ohne Gesicht ihn in die Dünen hinausführten und dass er jetzt als ein Knecht der Dämonen gehalten wird.
In: Jorge Luis Borges, Der Schwarze Spiegel, Rowohlt Taschenbuch 1966, S. 97-99
(Originaltitel: Historia universal de la infamia)
Bild rechts: Lucas Cranach der Ältere, Portrait von 1543 (links malte er Luther hin, den man fortließ)