Primat des Glaubens
Gestern ging es um den Glauben, der den Christen so wichtig ist. Dazu fand ich eine passende Geschichte. Borges, der große Leser und Forscher, zitiert Swedenborg, der 200 Jahre vor ihm mit den Engeln sprach, die ihm von Melanchthon erzählten.
Noch jemand da? Liest doch jemand weiter? Respekt! Philipp Melanchthon wurde als Mitarbeiter Martin Luthers bekannt, der propagierte, dass die Erlösung eine Gnade sei; dass man nichts tun könne, sie zu bewirken. Bretten bei Karlsruhe war Melanchthons Geburtsstadt 1497, und 1560 starb er in Wittenberg. Paulus erklärte ja einmal, unter Liebe, Glauben und Hoffnung sei die Liebe das Größte; die Protestanten waren wohl eher auf Seiten des Glaubens. Der Auszug stammt aus dem Buch Arcana coelestia (Himmlische Geheimnisse, original 1749-1756) von Swedenborg.
Ein Theologe im Tod
Die Engel haben mir kundgetan, dass, als Melanchthon verschied, ihm in der anderen Welt ein Haus angewiesen wurde, welches dem, das er auf Erden innegehabt, täuschend ähnlich war. (Nahezu allen, die erst jüngst in der Ewigkeit eingetroffen sind, widerfährt das gleiche, und darum glauben sie, dass sie nicht gestorben seien.) Die häuslichen Geräte waren dieselben: der Tisch, das Schreibpult mit seinen Fächern, die Bibliothek. Wie nun Melanchthon in dieser Behausung erwachte, nahm er seine literarische Tätigkeit wieder auf, als wäre er kein Leichnam, und schrieb während einiger Tage über die Rechtfertigung durch den Glauben.
Wie es seine Gewohnheit war, sagte er kein einziges Wort über die Liebe. Die Engel bemerkten dieses Versäumnis und schickten Personen zu ihm, die ihn hierüber befragen sollten. Melanchthon sagte zu ihnen: »Ich habe unwiderleglich bewiesen, dass die Seele der Liebe entraten kann und dass, um in den Himmel einzugehen, allein der Glaube genügt.« Diese Worte sprach er aus Hochmut und wusste nicht, dass er schon tot war und sein Ort nicht der Himmel. Als die Engel diese Rede vernahmen, wichen sie von ihm.
Kaum waren ein paar wenige Wochen vergangen, als die Gegenstände der Einrichtung sich in Dunst aufzulösen begannen, so dass sie kaum mehr zu sehen waren, ausgenommen der Schreibsessel, der Tisch, die Bogen Papier und das Tintenfass. Außerdem wurden die Wände des Gemachs kalkfleckig und den Boden überzog ein gelber Firnis. Sogar die Kleider, die er anhatte, waren viel gewöhnlicher.
Desungeachtet fuhr er fort mit Schreiben, aber da er auf der Leugnung der Liebe beharrte, verbrachten sie ihn in eine unterirdische Werkstatt, wo andere Theologen gleich ihm versammelt waren. Hier saß er einige Tage gefangen und begann an seiner These zu zweifeln, worauf sie ihm erlaubten, wieder nach oben zurückzukehren. Sein Gewand war aus ungegerbtem Leder, aber er war bemüht, sich einzubilden, dass das frühere eine bloße Wahnvorstellung gewesen sei, und fuhr fort, den Glauben zu verherrlichen und die Liebe anzuschwärzen.
Morgen Teil 2
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