Lob der Unsterblichkeit

In einer zehn Jahre alten Philosophie-Zeitschrift fand ich die Kurzbesprechung eines Buches, in dem die Unsterblichkeit gepriesen wurde. Das will ich kurz abhandeln und dann einige Zitate von Dorothee Sölle daranfügen aus dem Vortrag, der gestern dran war.

Das rezensierte Buch hieß Über den vermeintlichen Wert der Sterblichkeit, und geschrieben hat es Marianne Kreuels. Die Zeitschrift leitete ihre Rezension so ein:

Niemand will gern sterben. Denn der Tod bedeutet das Ende des Lebens, das Ende des Seins. Die Medizin setzt daher alle Mittel ein, unser Leben zu verlängern. 

So denkt das der Mensch heutzutage. Die Autorin versucht nun, uns die Unsterblichkeit schmackhaft zu machen. Sie sei durchaus nicht langweilig, die Welt verändere sich ständig. Ihre These: »Der Tod ist ein Übel, und wir müssen ihn als solches benennen.«

Heute wird der Tod ja totgeschwiegen. Wie wäre es ohne ihn, in den Händen einer Super-Medizin? Man kann sich so einen 200 Jahre alten runderneuerten Körper nicht vorstellen; bin das dann noch ich? Jorge Luis Borges hat in seiner Erzählung Der Unsterbliche einen römischen Militärtribun geschildert, der fast 2000 Jahre alt wird. Für ihn kommt das Ende doch: im Jahr 1950.

Und wenn der Tod, dieses Übel, zu Unsterblichkeit führte, wenn jene andere Welt tausend Mal spannender wäre als diese hier, wie wäre das? Tod als rasche Passage, nicht zu fürchten, und dann leben wir weiter trotz Tod. Das sagt manipogo, wir wissen es ja.

Und was erzählt uns Dorothee Sölle?

Vor einiger Zeit sah ich eine Talkshow mit einem Mann, der sich nach seinem Tode einfrieren lassen will, Frostschutzmittel werden eingespritzt, er kommt in ein Kühlhaus und wird nach 200 oder 300 Jahren, wenn diese Panne mit dem Tod nicht mehr stattfinden muß, wieder aufgetaut. Prozedur und Aufbewahrung kosten nur 37.000 Dollar, stellte er sachlich fest; und das Schrecklichste für mich war, dass dieser Mann auf mich nicht weniger krank oder gestört wirkte als wir alle sind! Ist diese Panne namens Tod nicht auch vermeidbar, wie so vieles, das Menschen jahrhundertelang als Schicksal annahmen? Das ist in dem gegenwärtig herrschenden Größenwahn eine der Grundfragen.

(…)

Ich war auf einer Tagung von Naturwissenschaftlern der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich eingeladen zum Thema »Grenzen«. Die hatten ein großartiges Aufgebot von naturwissenschaftlich und philosophisch Lehrenden. Sie haben nur das Thema Tod überhaupt nicht erwähnt. Ich fand es geradezu frappierend, dass man über Grenzen spricht und die eigentliche natürlichste Grenze gar nicht benennt. In diesem Zusammenhang abe ich mich auch gefragt: Warum können wir die Schrift des Todes nicht lesen? Warum ist unser Verhältnis zum Tod so unerwachsen? Die Verleugnung von Niederlagen, von Grenzen ist in der Warengesellschaft erwünscht. Der Tod gehört nicht in die Lebenslandschaft der Macher und Sieger. Darum stirbt es sich so schwer bei uns. 

 

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