Die Almoraviden
Ich las das Buch Das maurische Spanien, denn die Araber hatten ja von 711 bis 1250 über die iberische Halbinsel geherrscht und dann noch über 200 Jahre in Granada durchgehalten. Soll eine friediche, gute Zeit gewesen sein, dachte ich; doch nein, es gab nur Kleinkriege und Aufstände und Kämpfe zwischen Arabern, Berbern und Fatimiden und wem noch alles. Einen Zeitraum möchte ich hervorheben; so lernen wir aus Geschichte.
Es ist kein besonderer Zeitraum. Nur war die Geschichte, die aus der Geschichte drang, irgendwie typisch und erinnerte mich an etwas, ach was, an vieles: an untergegangene Reiche …
Yusuf stammte aus der Berberdynastie der Almoraviden, die aus dem Senegal kamen. Man rief ihn nach Spanien, um die Christen in Schach zu halten. 1086 überquerte Yusuf und sein Heer die Landenge von Gibraltar, schlug Alfons VI. und dessen Soldaten, und bald waren die Almoraviden Herren über fast ganz Spanien. Yusuf war sehr fromm, aber dabei übertrieb er es: Er war ein strenger Fundamentalist. Weintrinker und Tänzerinnen wurden verfolgt, Dichter und Philosophen galten nichts.
André Clot, der das Buch geschrieben hat, erzählt vom Fortgang:
Insbesonders am Anfang hatte Yusuf die muslimische Bevölkerung hinter sich. Seine Frömmigkeit rief Bewunderung hervor, desgleichen sein strenges Vorgehen gegen Christen und Juden. Er reduzierte die Steuern auf das in den heiligen Schriften vorgeschriebene Maß und fand damit die Zustimmung der Bevölkerung. Aber die Notwendigkeit, auf die christlichen Staaten Druck auszuüben, Befestigungen zu bauen, alte Burgen wieder herzurichten, Söldner zu rekrutieren und sie zu bezahlen, um Lücken in der Armee zu schließen, all diese ständig steigenden Abgaben zwangen die Almoraviden, die fiskalischen Belastungen zu erhöhen. … Man forderte mehr und mehr neue Steuern, die umso schwerer einzutreiben waren, da sich die Bevölkerung im Zustand wirtschaftlicher Not befand..
Na ja, etwas geschraubt schreibt er schon, der Monsieur Clot. »Sich im Zustand wirtschaftlicher Not befand …« Man hätte auch schreiben können: »die bettelarm war«. Clot wurde 1909 geboren und starb 2002, galt als Islamkenner und war sein ganzes Leben Agenturjournalist. Die sind immer ziemlich exakt. – Wie ging es weiter? Wie überall, wo die Raffkes einem Oberchef folgen (oder sein ass kissen).
Bald betrachtete das enttäuschte Volk die Almoraviden als Unterdrücker und Tyrannen. Zu den Bedrückungen durch die Armee … traten noch Korruption und Machtmissbrauch der militärischen und staatlichen Hierarchien. Die arroganten und raffgierigen Generäle führten sich auf wie im Feindesland. Sie griffen nach allem, worauf sie Lust hatten, Feld, Frauen, Juwelen etc. Für ihre Bereicherung war ihnen jedes Mittel recht. … Der Staat befindet sich in rascher Auflösung, die Straßen werden immer unsicherer …
Nach einigen Jahren almoravidischer Herrschaft erkannte die Bevölkerung von al-Andalus, die all ihre Hoffnungen auf Yusuf und seine Familie gesetzt hatte, dass sie einem Irrtum aufgesessen war. Sie wurde nicht nur unterdrückt, misshandelt und ausgeplündert, sondern die Almoraviden hatten auch keinen einzigen Sieg gegen die Christen errungen. Toledo war nicht zurückerobert. Zaragoza befand sich in der Hand Alfons VI. von Aragon. …
Yusuf hatte keine Kontrolle mehr. 1206 starb er, und sein verweichlichter Sohn Ali übernahm. Eine Revolution brach aus, die in Anarchie und Plündereien endete. Es gab 1125 Erhebungen in Córdoba und Sevilla, aber alles zog sich hin bis 1147, als die Almohaden Ali auf dem Schlachtfeld töteten und die Almohaviden massakrierten.
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So enden Unrechtsregimes. Manchmal dauert es 50 Jahre, manchmal nur 5, aber das Muster ist gleich: Inkompetente willfährige Helfer bereichern sich oder regieren am Chef vorbei, das Volk verarmt noch mehr und murrt. – Erst Ludwig XIV., der Sonnenkönig mit Versailles und seinen dauernden Kriegen, dann Ludwig XV., der die »grande nation» vollends in den Ruin treb. Die Folge war die französische Revolution.
Und die Vereinigten Staaten von Amerika werden an ihren immensen Militärausgaben und ihren drückenden Schulden scheitern. Der Machthaber hat das Volk gespalten, und große Konzerne stehen im Hintergrund. In einem Geschichtsbuch wird es dann heißen, die USA hätten den Nazifaschismus besiegt, dann 75 Jahre lang weltweit eine gewisse Dominanz innegehabt, jedoch nach 100 Jahren abgewirtschaftet. Was sind schon 100 Jahre? Die griechsche Polis und das Römische Reich florierten je 400 Jahre, und auch sie zerfielen. Das einzig Gute ist, dass Machtkämpfe zivilisierter Staaten heute auf wirtschaftliche Art ausgefochten werden. Menschen leiden auch, aber sie werden nicht ermordet.
Ω Ω
Zum Abschluss noch ein Hadith von Bukhari, Nummer 56 im ersten Buch. Hadiths sind Ausführungsbestimmungen zum Koran, es soll 25.000 von ihnen geben. Oft sind es Anekdoten.
Der Prophet Allahs (swt) hielt eine Rede, da kam ein Beduine vorbei und fragte: »Wann kommt denn die Stunde?« Er meinte: das letzte Gericht. Der Prophet, sein Name sei gepriesen, antwortete erst später, indem er sagte: »Wenn die Wahrheit verlorengeht, wartet auf die Stunde.« Wie die Wahrheit verlorengehen könne, fragte der Beduine. Mohammed sagte bloß: »Wenn die Macht in die Hände unpassender Menschen kommt, dann wartet auf die Stunde.«
Das klingt, als wär’s aus dem Tao Te King. Das ist gewiss im übertragenen Sinn zu lesen, also: Wenn in einem System die Wahrheit verlorengeht, dann dauert es nicht mehr lange bis zu dessen Untergang.

