Laub und Nadeln und alles
Die letzten Zeilen des Romans Paula, dieses gestern zitierte mystische Erlebnis, ließen mich nicht mehr los. »Mystisches Erlebnis« ist auch nur eine hilflose Formulierung; und ich schaute mir die 100 Beiträge der TestpilotInnen-Serie an, ob sich Ähnliches darin finden ließe. Ja, einige der Nahtod-Leute hatten auch den Eindruck, sie seien eins mit allem. Schauen wir uns das an.
Wie hatte Isabel Allende geschrieben?
… ich bin alles, was existiert, ich bin in jedem Blatt des Waldes, in jedem Tautropfen, in jedem Aschestäubchen, das der Rauch fortträgt, ich bin Paula und ich bin auch ich selbst, ich bin nichts und alles übrige in diesem Leben und in anderen Leben, unsterblich.
Jeder ist ein Teil von allem, aber auch dies alles ist er, wenn er sein Ich beiseitelegt. Der Physiker Jean Charon (1920-1998) schrieb:
Dieses individelle Ich auf dem Grund unseres Denkens ist das universelle Ich. Ich bin mein Nachbar, ich bin der, der gewesen ist, ich bin der, der sein wird; ich bin auch das Tier, ich bin die Pflanze, ich bin der Kieselstein auf dem Weg. Es ist meine eigene individuelle Seele, die mit der individuellen Seele aller anderen Existenzen zusammenfällt, wir haben alle dieselbe Seele gemeinsam, wir sind alle diese universelle Seele, die unveränderlich bleibt und nicht einer Evolution unterworfen ist.
Mir gefällt es jedoch nicht, hier den Begriff der Seele einzuführen. Die Seele ist etwas Komplexes, ist Lebensweg und Gefühlsleben, das hat eine Pflanze nicht. Vielleicht ist es der Geist, den wir alle gemeinsam haben.
Ein paar Zitate aus den TestpilotInnen (die Zahl bedeutet die Nummer des Beitrags):
Ich fühlte mich mit allem und allen verbunden. (21)
Ein Baum. Er ging näher, wurde zum Laub und zu Nadeln und sah ein, dass alles lebt. (42)
… das ganze Universum mit allen Sternen sei um ihn herum und in ihm gewesen, und eine Stimme habe ihm gesagt: »Dies alles bist du, und du kannst es nicht nicht sein.« (Nummer 3 der TestpilotInnen)
Ich war alles. Ich war das Universum. Wir sind Teil von allem. Als Menschen leben wir das alles in einem Blitz (in a flash). Es ist real. (88, erlebt in einem 10-tägigen mystischen Retreat)
Das höchste Wissen – Gott, das Universum – trat in mich selbst ein … Ich war die Sonne, ich war der Klang, ich war das Gerät dort, alles war ich. Ich war klarsichtig geworden, war Gott und das Universum, und ich sah, dass alle anderen das auch hatten, nur schlief es bei denen. (87, Erleuchtung im Fitness-Studio)
Wir sind Teil von etwas, das in seinem Innersten kompliziert, doch auch unendlich perfekt ist. Totsein war einfach. Es hieß, alles zu werden. (86)
Wir sind Götter; wir sind Teil G*ttes, aber wir sind auch G*tt. (63)
Du musst dich daran erinnern, dass du Licht bist, dass du ein göttliches Wesen bist. Du bist ein Teil Gottes. (56, Worte seines Geistführers)
Ich sah das Gras, es war leuchtend grün, und ich sah jeden Halm. Und das Gras liebte mich! (Landon Dennis)
Erst spät fiel mir auf, dass, wo manche sagten, das weiße liebende Licht habe sie eingehüllt, andere behaupteten, sie seien das Licht geworden, es sei in sie eingedrungen. Wir wissen, dass viele Mystiker von Einheits-Erlebnissen berichteten (und wie die Nahtod-Leute kaum Worte dafür fanden). Natürlich gibt es eine Verwandtschaft von sich versenkender Betrachtung und Nahtod-Erlebnissen: Der Körper existiert sozusagen nicht mehr, und auch das Ego verschwindet, und so kann das Göttliche in uns eintreten (oder aus uns austreten) und uns ausfüllen.
Einige Aussagen sind schwer für uns zu schlucken. Dass jemand alles wusste, totales Wissen besaß und jeden kannte, der je gelebt hatte … Man denkt sich, dass dieses Wissen die allerhöchste Schöpferkraft auszeichnen müsste, von der wir anscheinend ein Teil sind; und der Teil vom Ganzen ist in gewissem Sinn auch das Ganze selbst.
Schade, dass die Menschheit noch so weit weg ist von diesem Konzept. Wie sollen lieben lernen und damit auch, unser Ich mit seinen Wünschen und Lüsten unter Kontrolle zu halten; der Teufel und das Böse existieren nicht, sie stecken in diesem großmächtigen, gefährlichen Ego. Wir müssten nur die Lehren von Christentum und Buddhismus in die Tat umsetzen, und wir hätten das Paradies auf Erden. So einfach wär’s; wenn’s nicht so schwierig wäre.

