Die Bedingungen des Glücks
Marion Milner schrieb unter dem Pseudonym Joanna Field 1934 ein Buch über die sieben Jahre ihres Lebens, in denen sie sich genau beobachtete und ihre Emotionen aufschrieb. Manchmal erlebte sie Glück, und sie wollte wissen, was die Bedingungen dafür waren und wie es zu verlängern oder hervorzurufen sei. Das Buch trägt den Titel »A Life of One’s Own« (etwa: Ein Leben, das dir gehört).
Ich holte es mir in der UB Freiburg, weil ich wusste, dass sie im Schwarzwald eine Art mystische Erfahrung gemacht hatte. Zuerst hatte sie Angst empfunden, sie selbst zu sein: als ob etwas sie kontrollieren wolle. Ein ganzes Jahr kam sie nicht richtig weiter.
Bis ich bei Ferien im Schwarzwald in Deutschland eine mächtigere Form der Wahrnehmung erlebte als je zuvor. Das Wetter war nasskalt, mein Begleiter hatte es an den Nerven, was uns davon abhielt, unsere Wanderung anzutreten, und da ich nicht Deutsch sprach, gab es wenig, was uns beide ablenkte, und so versanken wir in ein trauriges Brüten. Ich fühlte mich allein und unzulänglich; ich hätte gern etwas getan als Alternative zu dem unaufhörlichen Geschnatter meiner Gedanken. (…)
Ich dachte mir: »Wenn nur die Sonne herauskommen würde, dann könnte ich still sitzen, ohne denken zu müssen.« Und eines Morgens erwachte ich und sah, dass die Sonne schien, und ich wanderte in den Wald und hoch zu einem Gehöft oberhalb eines breiten Tals, wo sie an Tischen unter Apfelbäumen Getränke servierten. Ich setzte mich und erinnerte mich, dass sich manchmal meine Stimmung verbesserte, wenn ich in Worten beschrieb, was ich betrachtete. So sagte ich mir: »Ich sehe ein weißes Haus mit Geranien und höre ein Kind weinen.« Und diese simple Beschwörung schien zwischen mir und der Welt eine Tür aufzustoßen. Hinterher versuchte ich aufzuschreiben, was passiert war.
… Jene flackernden Blätterschatten, die über einem Haufen geschnittenen Grases spielten. Es war soeben geschnitten worden. Die Schatten sind blau oder grün. Ich weiß nicht warum, aber ich spüre sie in meinen Knochen. Hinein in die Schatten der Wasserrinne, darüber hinweg durch glitzernden Raum, ein Raum, der im Leeren hängt und die Rinne füllt, so dass kleine Geräusche dorthin wandern, sich verlieren und ertränkt werden; jenseits davon ist ein Reflex von Sonnenlicht, das sich von der Dunkelheit des Waldes abhebt, das Gold darin fließt verschwenderisch in meine Augen, fließt durch mein Gehirn in ruhenden Lichtpfützen. Jener Baum, meine Augen werden den strammem Stamm entlang hoch- und niedergeführt, meine Muskeln fühlen, wie sich seine Wurzeln ausbreiten, um den Baum am Hügel so aufrecht zu halten. Die Luft ist voll von Klängen, das Seufzen des Windes in den Bäumen, Stöhnlaute, die in der darüber hängenden Stille untergehen. Eine Biene fliegt vorbei, ein goldenes Kräuseln in der stillen Luft. Ein Huhn zu meinen Füßen kaut an einem Grashalm …
Ich saß bewegungslos, es war ein auszehrendes Gefühl hinein in die Tiefe, und Welle auf Welle von Verzückung floss durch jede Zelle meines Körpers. Meine Aufmerksamkeit flatterte von einer Verzückung zur nächsten wie ein Schmetterling, mühelos, seinem Vergnügen folgend; zuweilen bklieb sie bei einem Gedanken, einem verbalen Kommentar, die jedoch nicht mehr eine plappernde Schranke zwischen mir und dem, was ich sah, darstellten. Ich war nicht mehr bemüht, irgendetwas zu tun, ich war völlig zufrieden mit dem, was war. … Ich weiß nicht, wie lange ich hier in absoluter Stille saß und zuschaute. Schließlich stand ich auf, dehnte mich und kehrte über den kleinen Pfad den Hügel hinunter zurück, befreit von meinem Ärger und meiner Unzufriedenheit und angefüllt mit Frieden.
Sehr schön. Doch dann quälen sie gleich wieder Fragen: Was hatte sie getan oder nicht getan, dass dieses Erlebnis eintrat? Könnnte man das wiederholen? Diese wissenschaftlichen Geister sind schrecklich. Buddha hätte gesagt: Nimm es hin, erforsche es nicht! Tricia Barker, eine Testpilotin, mahnte: Don’t overthink it! Denk nicht zuviel nach! Wörter sind nur Annäherungen und ein Notbehelf, deshalb spricht der Weise ein Mantra oder ein Gebet, um das Ich abzudrängen und Raum für Gott oder das Allbewusstsein zu schaffen. Aber Marion Milner hat die Mystik wissenschaftlich verfolgt, und da denken wir an Immanuel Kant, der sich eine Metaphysik wünschte, »die wird als Wissenschaft auftreten können«. –
Darüber nächstes Jahr mehr.

