Engelein
Der Friedhof Müllheim-Niederweiler liegt schön – etwas erhöht mit Blick hinüber zur entfernten Stadt. Im hinteren Drittel führen Treppen einen Kegel hoch, und dort haben wir Gräberreihen auf drei Ebenen, und oben sieht man weit. Die Gräber sind zumeist schmal und sehr gut gepflegt. Was dann noch auffällt: die Engelein.
Ich weiß nicht, wo es diesen Kitsch zu kaufen gibt. Jedenfalls ist ein kleines dickes pausbäckiges Engelein auf fast jedem zehnten Grab zu finden.
Manchmal eine ganze Versammlung von ihnen.
Ach, wie niedlich! könnte man sagen. Man denkt an die unsäglichen Hummel-Figuren, die einige Jahrzehnte in deutschen Wohnzimmern auf Anrichten und in Schlafzimmern auf Konsolen standen. Sogar einen Blog gibt’s dazu. Ist aber lange nicht aktualisiert worden. Putten heißen die Kinderengel, die meist Eros darstellen sollten, dass auch bestimmt niemand Anstoß nehmen konnte. Kinder dürfen ja ungestraft nackt oder halbnackt sein.
Die Vorliebe für solche Engelein auf den Gräbern zeugt von einer infantilen Vorstellung des Jenseits. Anscheinend denkt man es sich als eine Versammlung von Manna kauenden, Harfe spielenden, Hymnen singenden Wonneproppen auf einer quellenden weißen Wolke. Petrus nickt verständnisinnig und krault sich den langen Bart. Gottvater hinter der goldenen Pforte hat gerade keine Audienz.
Diese klebrigen, süßlichen Bilder sah man ja immer im abendfüllenden ZDF-Spielfilm, gemacht für deren Zuschauer über siebzig, denen man nichts an Klischee und Kitsch erspart. Fernsehen ist meistens Klischee und Kitsch, auch im Krimi, aber eben diesem angepasst. Kitsch ist die Anhäufung von ästhetischen Elementen ohne Brechung, Abstand oder Stilgefühl; das Ergebnis ist übersüß wie eine Torte mit 500 Gramm Zucker und 50 Gramm Mehl.
Irgendwie ist es auch eine Verhöhnung der Verstorbenen, die sich nicht wehren können, dass jemand feiste Englein auf ihrem Grab in Stellung bringt. Eine Verniedlichung und Verspottung der irdischen Existenz ist es, wenngleich verständlich. Das Grab wird hergerichtet wie das Wohnzimmer, in dem man täglich mit Hingabe den Staubsauger herumfahren lässt. Man überzuckert den Tod, wendet sich ab und geht schnell nach Hause.
am 20. April 2014 um 10:56 Uhr.
hey Mandy, so kritisch? FROHE OSTERN! Anselm Grün schreibt: „Engel sind Mächte. Sie haben eine Kraft in sich, die den Menschen begleiten und etwas in ihm bewirken. Nach dem heiligen Augustinus ist „Engel“ eine Bezeichnung für eine Aufgabe, nicht für ein Wesen und somit ein Bote Gottes“.
Auf einem Friedhof ist es die Aufgabe des Trostes und das Design mancher Engelsbilder ist Geschmackssache und sollte besser nicht bewertet werden. Liebe Grüße, Regina
am 20. April 2014 um 19:41 Uhr.
Liebe Regina! Frohe Ostern auch von mir! Freilich ist es gemein, die Engel zu bewerten, aber ich konnte nicht anders. Es sitzen ja nur diese Kitschengel herum, die es irgendwo zu kaufen gibt und die man halt kauft, aber schau dir die früheren ernsten Engel auf den Gräbern an (morgen kommen 2 Fotos), die sprechen von der Unerbittlichkeit des Todes, die ja nicht wegzuleugnen ist. Natürlich ist das Verkitschen auch eine Art der Bewältigung des Verlusts, genauso wie Sarkasmus und Ignorieren. Jedenfalls verrät es uns etwas über das Gemüt unserer Mitbürger. Viele Grüße ciao Mandy.