Das Dossier H.
Endlich ein Taschenbuch in französischer Sprache aus dem Regal gelesen, Le Dossier H. von Ismail Kadaré. Das hat der große, 1936 in Girokaster geborene albanische Autor 1990 veröffentlicht, als er nach den Aufständen in Osteuropa nach Paris zog, Exilort auch vieler Chinesen. Vor zwei Jahren, in der Anfangszeit von manipogo, spielte Albanien schon eine Rolle.
Darin geht es um zwei Iren, Max Roth und Willy Norton, die 1935 in Albanien nach einheimischen Sängern forschen, die sich auf die Tradition von Homer berufen. Die Staatsmacht lässt die beiden in einem Hotel wohnen und durch Spione überwachen, die Frau eines Funktionärs träumt von einer amourösen Eskapade, und für Aufsehen sorgt das voluminöse Gerät, mit dem die beiden Stimmen aufnehmen können.
Kadaré schürft auch okkulte Bezüge heraus – in der Diktatur sei das Ohr wichtiger als das Auge; was man höre, werde zu Informationen. Den Iren gelingt es, die Stimmen alter Barden zu verewigen, die im Land unterwegs sind, aber dann werden sie überfallen und verlassen angeschlagen das Land. Das Augenlicht von Willy Norton hat sich verschlechtert, und auf dem Schiff fängt er plötzlich wie ein Barde zu singen an, als wäre er besessen und habe eine Persönlichkeitsveränderung erlebt.
Der große Homer und das kleine Bergland Albanien, das Gefühl des Eingeschlossenseins mit Spionen überall, engstirnige Funktionäre und sich langweilende Ehefrauen .. das ist atmosphärisch dicht gezeichnet. Überall Engstirnigkeit: Fremde müssen Spione sein, und wer ist schon Homer?
Kadaré hat 2009 der Neuen Zürcher Zeitung ein Interview gegeben und nannte sich unpolitisch. Er fragte: Was ist denn ein politischer Schriftsteller? Sein Engagement sei das eines Menschen, der in einem Land lebt, in dem es viele Gefahren gibt, nicht im politischen Sinn, sondern darin, dass alles zerfällt. Es geht darum, den Leuten eine Orientierung zu geben, eine europäische Perspektive. Nur so weit kann ich eine Rolle spielen. Als wer möchten Sie einmal in die Geschichte Albaniens eingehen? Nur als Schriftsteller. Als nichts sonst.