Nachts mit dem Rad durch Rom

Wie Marco Pierfranceschi auf seinem Blog Mammifero bipede schreibt, unternahmen 50 Radfahrer vor einer Woche, in der Nacht zwischen Samstag und Sonntag, eine nächtliche Rundfahrt auf dem neuen Radwegring GRAB durch Rom. Nicht nur in der Nacht, mit Licht, nein: völlig in der Dunkelheit!

Ich verstehe ja nicht, dass Radfahrer ohne Licht durch Freiburg fahren. Das ist dumm. Anders ist es, wenn man, wie meine römischen Fahrradfreunde, sich öffentliche Parks für das Experiment aussucht.

Ich übersetze hier Marcos Beitrag vom 8. Juli, den er Sensorielle Wiederaneignung nennt. Marco möchte mit dem Rad Landschaft, Natur und Stadt wieder neu erleben. Aber ohne Licht?? Ich selber müsste mich auch überwinden, aber mit vielen Radlern an der Seite könnte es eine Erfahrung werden, die freilich gut geplant werden muss. Hier sein Beitrag:

»Der Anlass war in drei Teile aufgeteilt: ein abendliches Fahrrad-Picknick; die nächtliche Radfahrt; und einen Spaziergang durch die historische Innenstadt Roms, im Zickzack durch die Gassen laufend, bis die Sonne aufgehen würde. (…)

Es war nicht das erste Mal, dass ich eine Gruppe von Radfahrern durch die Dunkelheit führte. Grundbedingung war ein Parcours, der weitläufig und regelmäßig sein sollte und keine Hindernisse aufweisen durfte, was auf einige Parks in Rom zutrifft, wenn man die Strecke sorgfältig wählt. Bei den Radfahrern ist dabei ein natürlicher Widerstand gegen das Fahren im Dunkeln zu überwinden, und eine kleine Gruppe fuhr immer mit Licht. In diesem Fall schickte man die, die mit dem ›Blindfahren‹ experimentieren wollten, nach vorn.

Man nähert sich unter Laternen dem Park der Caffarella, dann macht man die eigenen Lichter aus und taucht in die Dunkelheit ein. [In meinem Roman Tod am Tiber ist eine solche Tour auf Seite 170 erwähnt: »Eine Vollmondnacht in der Caffarella ist spektakulär!«] Die Dunkelheit ist dabei total: Man radelt wie in einem Tunnel unter dem Laub der Bäume dahin, die das wenige Mondlicht abhalten, und alles, was man sieht, ist ein Widerschein in der Ferne, wo die Bäume sich ausdünnen.

Was passiert dabei? Ist es wirklich gefährlicher, als am Tag zu fahren? Die Antwort ist erstaunlicherweise: nein. Man verliert zwar die Sicht, aber die anderen Sinne werden freigesetzt und ›eingeschaltet‹. (…) Wenn man in der Dunkelheit Rad fährt, spürt man eine Gefahr, die damit verbunden ist, dass man auf dem Rad im Gleichgewicht bleiben will; das Gehirn wird aktiver, um das zu garantieren und versucht, so viele Informationen wie möglich einzuholen. Plötzlich wird man sich der Tempratur bewusst, der Vibration des Rads, der Geräusche 360 Grad um uns herum, des Geruchs der Vegetation und bemerken, dass man den Gesichtssinn nicht unbedingt braucht, um im Sattel zu bleiben.

Nach wenigen Minuten gibt es die erste Pause, und nicht zu leugnen ist Ungläubigkeit und Begeisterung unter den Teilnehmern, denen sich eine neue Welt aufgetan hat, die zu erforschen sie nun bereit sind. Vergangenen Samstag zog sich diese Erforschung durch die ganze Nacht bis zum ersten Schimmer der Morgendämmerung, als wir ein andersartiges Spektakel miterlebten, das für viele ähnlich unerwartet kam: die leere Stadt. Nicht viele wissen, dass es in dieser Phase des Jahres für einige Monate einen magischen Moment gibt, der zwischen 5 Uhr und 6 Uhr liegt, da die Nachtschwärmer zu Bett gegangen und die Frühaufsteher noch nicht auf den Beinen sind. Da ist es auch schon fast Tag. (Foto: Alboreto DelVecchio, aus Marcos Blog)

In dieser magischen Stunde kann man in völliger Einsamkeit die Gassen des Zentrums durchwandern und sich die Stadt aneignen, die normalerweise vom Autoverkehr, vom Lärm und den Touristen gequält wird. Die historischen Paläste wirken wie Theaterkulissen, die auf das Auftreten der Schauspieler warten. Man kann sogar vom Kapitol losgehen und die Via die Fori Imperiali hinablaufen, die von Piazza Venezia bis zum Kolosseum vollständig verlassen daliegt. So erlebt man die Magie einer Stadt außerhalb der Zeit …«

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Ergänzung: 12 Stunden nachdem ich Marcos Blog-Beitrag übersetzt hatte, fand ich in dem Buch Faces in the Smoke von Douchan Gersi  (ich glaube, davon werdet ihr noch mehr hören) eine Stelle dazu; wir hatten uns gefunden, ich die Stelle und die Stelle mich. Gersi fuhr mit Tuareg-Führern im Land-Rover durch die Wüste, doch der Führer wollte alles spüren und draußen sein, klammerte sich also oft am Reserverad auf der Motorhaube fest. Gersi weiter:

»Das andere Problem, das sich mit diesen Burschen ergab, war das nächtliche Fahren mit den Scheinwerfern. Weil sie daran gewöhnt waren, beim Licht der Sterne und des Mondes zu reisen, kamen sie so nicht zurecht, denn die Scheinwerfer veränderten das Aussehen der Landschaft. Darum musste ich mit ausgeschalteten Scheinwerfern fahren. Ich muss jedoch zugeben, dass das eine erstaunliche Erfahrung war und wirklich magisch, beim Licht der Sterne und des Mondes dahinzufahren mit dem Gefühl, zwischen dem menschlichen Unbekannten und dem Mysteriösen zu schweben, wodurch wir schließlich zu einem Teil der kosmischen Realität wurden, in der alles geschehn konnte, selbst das Unmögliche.«

 

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