Städte, nachts
Bilder von nächtlichen Szenen sind schwer zu finden. Städte, vor allem nachts, sind faszinierend. Sie werden geschmückt, weil es der Mensch schön haben will. So werden die Gassen, Straßen und Plätze zu einem Innenraum, in dem man mit anderen vereint ist. Über die Nacht im Mittelalter hatte ich im November mich verbreitet. Ich mag’s aber auch hier. Draußen Nebel und spärliches Licht, das Haus ist so still, als sei es ausgestorben, und so lebt man selig wie auf einer Insel, allein mit Gedanken und großen Projekten …
Aber das ist Romantik. Dann passiert Berlin (vergangenes Jahr trieben wir uns viel auf ebendem Weihnachtsmarkt herum, aßen da zu Abend … wie Menschen in der Stadt), und man erinnert sich, dass man in der Stadt zwar frei ist und anonym sein kann, aber auch eingeschlossen und von Menschen umzingelt. Theodor W. Adorno schrieb in Minima Moralia: »Was seit dem Aufkommen der großen Städte als Hast, Nervosität, Unstetigkeit beobachtet wurde, breitet nun so epidemisch sich aus wie einmal Pest und Cholera. … Alle müssen immerzu etwas vorhaben. Freizeit verlangt ausgeschöpft zu werden. Sie wird geplant, auf Unternehmungen verwandt, mit Besuch aller möglichen Veranstaltungen oder auch nur mit möglichst rascher Fortbewegung ausgefüllt. … In der fanatischen Liebe zu den Automobilen schwingt das Gefühl physischer Obdachlosigkeit mit.« Da also, in dem Artikel Vandalen von 1945 schon, findet sich dieser Satz.
Und ein kleiner Nachsatz zu Weihnachten: Am Heiligen Abend um ein Uhr stand ich mit dem Rad an einer Ampel in der Nähe der Autobahn, um am Rhein entlangzufahren. Da ruft mich ein junger Autofahrer (vielleicht 30 Jahre alt, schlank, in einem alten grauen Ford Fiesta) zu sich: Ich solle den Aufkleber am Verkehrsschild wegmachen. Auf Pfälzerisch. Da stand FCK/ AfD. Na und. Plötzlich fängt er an, mich zu beschimpfen: »Du Wixer, du Linker, ihr macht Schulden und wir sollen dafür bezahlen …« Und was noch alles. Was hatte ich dem getan? Betrunken? Nein. Der war einfach geladen und wollte seinen Frust loswerde, und ich sah halt wie ein radfahrender Linker aus, und der bin ich ja auch. Die Ampel ging auf Grün, »Wixer!» rief er nochmal, und ich rief ihm Schöne Weihnachten, Arschloch! ins Fenster, als er vorbeifuhr.
So viel zur Stimmung im Land. Friede auf Erden! (Meinen Weihnachtsbeitrag wollte ich damit nicht beflecken.) Lass den Jungen mal arbeitslos werden und einen Mullah treffen, dann wird er vielleicht auch zum Attentäter. In Deutschland gehen sie auf ihre eigenen Leute los, in Italien hassen sie wenigstens den Staat. Zu Recht. Sechs Milliarden für die marode Sieneser Bank; das wären 100 Euro für jeden Italiener gewesen.
Schauen wir uns besser alles von oben an.