Zum Pub radeln

Vom Kino rasch zurück nach Irland, das am Freitag einen Kurzauftritt hatte. Die Dubliners treten heute Abend in der Alten Oper in Frankfurt auf. Ich erinnerte mich vage an eine witzige Erzählung über Leute in Irland, die dem Gesetz ein Schnippchen schlagen, um zu ihrem geliebten Alkohol zu gelangen. Jetzt habe ich sie gefunden: Sie steht natürlich im Irischen Tagebuch von Heinrich Böll. 

Das kleine Tagebuch hat er in meinem Geburtsjahr veröffentlicht, 1957. Es hat 42 Auflagen bis 1994 erlebt, ist meinem dtv-Taschenbuch zu entnehmen. Das hat das Buch auch verdient. Schon die Geschichte mit der »Säuferkoje« (schon wieder Alkohol) hatte sich mir eingeprägt. Der Literatur-Nobelpreisträger Böll (1972) lebte von 1917 bis 1985 und war ein großartiger Autor. Man sollte immer mal wieder Böll lesen. 

Natürlich mag ich Wenn Seamus einen trinken will, weil das Fahrrad darin eine nicht unerhebliche Rolle spielt. (Anscheinend spricht man den Namen Schämes aus; der Lyriker Seamus Heaney, in Yeats’ Todesjahr 1939 geboren, erhielt 1995 den Nobelpreis. Gab es einen weiteres irischen Literatur-Nobelpreisträger? Ich glaube nicht.) Und noch eine Abschweifung, dann kommen wir zur Handlung des sechsseitigen Kapitels: Das geniale Buch The third policeman (der dritte Polizist) des Iren Flann O’Brien setzt dem Fahrrad auch ein Denkmal. Ich habe es hier rezensiert.  

Damals gab es in Irland (und überhaupt im vereinten Königreich) die Polizeistunde: an Werktagen hieß es um 22 Uhr »Last Orders!« Am Sonntag waren die Pubs bis 14 Uhr sowie zwischen 18 und 20 Uhr geöffnet. Wenn Seamus am Sonntag nachmittag Durst hat, bleibt nur eins: in den Nachbarort radeln. Denn das Gesetz besagt, dass an den Wanderer, der mehr als drei Meilen von seinem Heimatort unterwegs ist, Bier ausgeschenkt werden muss. (Anscheinend auch, wenn der Pub geschlossen ist.) Die nächste Kneipe ist aber sechs Meilen entfernt, also fast zehn Kilometer, was, schreibt Böll, großes Pech ist: zehn Kilometer ohne Pub, das komme in Irland selten vor.    

»Seamus ist kein Säufer«, schreibt der Autor, denn sonst säße er längst auf seinem Fahrrad. Ein echter Fahrradfreak ist er anscheinend auch nicht; wäre er einer, säße er auch schon längst auf dem Fahrrad. Ein kleiner Berg erhebt sich vor dem nächsten Ort, und da oben begegnet Seamus seinem Cousin Dermot aus eben dem Dorf, in das er fahren will. Seamus sucht also Dermots Stammkneipe auf, Dermot geht in Seamus’ Bar. Um Mitternacht begegnen sie sich wieder auf dem Berg. Dieser Sketch könne dann, meint Böll, am Abend um acht »mit beliebig großer Besetzung wiederholt werden«. (Bild: So könnte Seamus aussehen. Ist aber der Norweger Jan Paulsen.) 

Zwei Gruppen Betrunkener auf ihren Rädern begegnen sich fluchend auf dem Berg. (Müssen die Pubs, die gerade um acht geschlossen hatten, nun wieder öffnen, weil eine Gruppe Trinker aus dem Nachbarort vor der Tür steht? Anscheinend. ) Wie die Begegnung gegen Mitternacht auf dem Rückweg aussieht, bei Dunkelheit und noch mehr Alkohol in den Körpern, das malen wir uns besser nicht aus.  

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