Die Ordnung hinter den Dingen

Vor einer Woche hatten wir das Thema Kontingenz und Transzendenz. Ja, vieles ist unbestimmt und wirkt willkürlich, doch … es bilden sich auch Informations-Inseln der Ordnung heraus. Wenn man sie sehen kann. Manche sagen ja gleich: Du konstruierst das. Sehen wir uns an Beispielen an, wie die Welt zu uns spricht.

Es sind natürlich Beispiele aus meinem bescheidenen Leben. Ich meine jedenfalls, dass unsere Gedanken (das, was uns beschäftigt) in unserer Aura herumgleiten und in der Folge beantwortet werden, indem sie das Verwandte an sich ziehen. Diese Erlebnisse und Dinge drängen sich an uns heran; das ist nicht Zufall oder eine Eskapade der Wahrnehmung. Wenn du an etwas denkst, begegnet es dir, weil es tatsächlich auftritt, nicht weil du es nun plötzlich siehst. Klingt abstrakt.

Schrieb mir mit Irmi über Drachen, und dann hatte ich öfter mit Drachen zu tun: Eine Bewohnerin im Heim meinmer Mutter trug ein Drachen-Hemd, auf dem Schreibtisch lag der Film Im Jahr des Drachen von Michael Cimino, was ich vergessen hatte, und mehr davon.

Andere Themen liegen in der Luft und wollen dir etwas sagen. Armando Basile war auf Weltreise (auf manipogo gibt es einen Beitrag über die Philippinen, wo er sich im Januar aufhielt), er sollte nun in den USA sein, dachte ich. Auf meiner Radfahrt von Offenburg nach Karlsruhe traf ich Florian oder Flo (wir fuhren eine Stunde zusammen – und verfuhren uns, weil so viel zu plaudern war.) Flo ist ein Thüringer, der am Zürisee arbeitet, und vor zwei Jahren hatte er die Route 66 mit dem Rad befahren, hatte sie von Chicago nach Los Angeles in fünf Wochen gemacht.

Du brauchst einen ganzen Tag, um aus Chicago rauszukommen, sagte Flo, und durch Los Angeles dauert es auch einen Tag. 80 Kilometer ist die Stadt lang. Auf dem Rückweg dann war Thomas Enzenlauer aus Ludwigshafen vor mir, auf seiner Fahrrad-Ausfahrt mit dem Mini-Bike. Er war 25 Jahre Radprofi und mit Freunden auf Motorrädern auch auf der Route 66 und sogar in Manhattan … das erzählte er mir ungefragt, und schon wieder war da die Route 66, die bei mir unauflöslich mit Armando verknüpft ist.

Ich hätte mir denken können: Da ist was. Da liegt etwas in der Luft. Zurückgekehrt, fischte ich eine Postkarte von Armando aus dem Kasten, die er aus Mendocino in Kalifornien geschrieben hatte. Alles geklaut, schrieb er, Fahrrad und Gepäck. Terrible. Ich muss zurück. (Mittlerweile ist er wieder hier, Helga hat ihm ein Ticket geschickt. Ich habe ihn schon – zufällig – getroffen. Hatte an ihn gedacht.) Nach elf Monaten und 35.000 Kilometern musste er heimreisen. Es war, als hätte mir das Universum das verraten wollen.

Lenz

Informationen aus anderen Dimensionen kommen manchmal in Träumen, aber vielleicht auch manchmal ganz konkret. Man muss sie nur übersetzen. Natürlich kann es vorkommen, dass man etwas überinterpretiert. Doch ich glaube, dass das Leben (das Universum, Gott, die Welt) auf unsere Gedanken reagiert. Auch Wünsche werden erfüllt, man muss nicht viel drum beten. Das Universum weiß, was wir brauchen. Wir kriegen es (oder kriegen es nicht, wird auch seine Bedeutung haben).

Vor acht Tagen (am Tag vor Kontingenz und Transzendenz) begab ich mich mit dem Volvo nach St. Marie-aux-Mines, 80 Kilometer entfernt, um mit dem Rennrad in die Vogesen hinein- und hinaufzufahren. Hatte mir zwei Kartenblätter aus einem Atlas gerissen; es fehlte jedoch der Anschluss an Marckolsheim, blöd, ich dachte schon am Tag vorher, ich müsste mir endlich mal eine Karte vom Elsass kaufen.

Und dann lag sie am Straßenrand, schön ausgebreitet, unbeschädigt. Eine Karte Elsass und Lothringen, 1:250.000. Einige Städte waren markiert. Vermutlich hatte sie ein Motorradfahrer verloren. Aber ich brauchte so eine Karte, und so bekam ich sie. (Darüber hatte ich schon geschrieben: dass man bekommt, was man braucht. Etwa in Vertrauen.) Das sind Momente, da ist man sprachlos.

Ich hatte zum Museum für den Lehrer und Pastor Oberlin (1740-1826) gewollt, doch dann war es dunkelblau dort, wohin ich fahren wollte. Ich drehte um, wartete eine Weile, und schon fing es zu regnen an. Stellte mich unter. Da stand schon einer und rauchte: Pascal. (Am Tag zuvor das berühmte Buch Gedanken von Pascal in der Hand gehabt: Pensées.) Er lebt in dem Ort des Museums. Hatte Streit mit seinen Eltern gehabt, fuhr einfach weg, in Panik. 40 Jahre alt, ohne Arbeit, aber mit psychischen Problemen, wegen denen er schon in der Psychiatrie war. Hat zwei Kinder. Möchte demnächst nach Molsheim, um in einer Fabrik zu arbeiten.

Er ist Bildhauer mit Holz, kann aber nichts damit verdienen. Das einzige Objekt, das er verkaufte, war eine Holzkuh für eine Metzgerei. Ich mochte ihn sehr. Pascal mit seinem Sträflingshaarschnitt (eigentlich Glatze), dem unsteten Blick und dem lauten Lachen wäre der ideale Darsteller für Lenz, dachte ich, für Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), den geisteskranken Dichter, der von Emmendingen aus im Januar und Februar 1778 bei Oberlin war, doch sein Zustand war schon zu weit fortgeschritten. Büchner schrieb Lenz über dessen Reise zu Johann Friedrich Oberlin und zurück. Pascal Lenz, der in Waldersbach nahe bei Oberlins Grab lebt. Manchmal kommt mir das Leben wie ein  Theaterstück vor.

Ach, Pascal! Ich versuchte, ihm etwas zu sagen, aber als Seelsorger bin ich noch etwas ungelenk. Doch vielleicht bin ich ihm gesandt worden. Er brauchte jemanden, mit dem er reden konnte, und da kam mit dem Regen (es goss 40 Minuten wie aus Kübeln) dieser deutsche ältere langhaarige Radfahrer, der Bücher schreibt und psychische Probleme auch kennt. Am Ende erzählte ich ihm die Geschichte von der Landkarte. Vielleicht hat es ihm geholfen.

Ist das alles nicht verrückt? So viel Ordnung, denkt man. Und wie immer denke ich: Man müsste mehr Vertrauen haben. Diese hochintensive Liebe jenseits der Dimensionen, sie sickert manchmal durch! Wir fühlen uns allen verbunden, und alle Gedanken finden zueinander. Wenn man daran glauben kann, wartet man einfach eine Weile auf das Glück, und es kommt.

 

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