Hospizliche Kultur

Wenn Heilung nicht mehr möglich ist … muss einer sterben. Der Hospizgedanke hat in Land Fuß gefasst, Sterbende werden betreut, und in Freiburg gibt es die Klinik für Palliativmedizin, deren Leiterin Professorin Gerhild Becker vor drei Tagen in Müllheim referierte.

Doch in Hospizen starben im vergangenen Jahr in Deutschland nur 25.000 Menschen, das sind 3 Prozent all derer, die von uns gehen mussten (etwa 875.000; man kann sagen: einer von 100 stirbt in Deutschland im Jahr). Ein Drittel der Patienten stirbt in der Freiburger Klinik für Palliativmedizin, die restlichen zwei Drittel können nach Haus entlassen werden, wo sie dann ihr Leben beschließen.

Wo stirbt man sonst? Vorwiegend im Krankenhaus (47 Prozent), dann in Institutionen (39 Prozent, davon 24 Prozent in Altenpflegeheimen, andere vermutlich in der Psychiatrie), und nur 14 Prozent sterben zu Hause.

Also, sagte die Referentin, wäre das Ziel: eine Kultur um das Sterben aufbauen, eine »hospizliche Kultur« an den Pflegeheimen entwickeln. Ist aber noch ein weiter Weg. Frau Professor Becker hat ihre Verdienste und das Palliativkonzept entscheidend gefördert, da kommt auch Power rüber, doch auch der nimmermüde Optimismus der Technokratin, aber so sind Ärzte und Ärztinnen, evidence-based-geschult, lösungsorientiert, und es sieht gut aus.

Die Politik bewege sich, ein Not-Telefon gibt’s und Care-Teams mit zugkräftigen Namen, die sofort losfahren, Schulungen und Workshops. Geld kommt durch Spenden herein. Eine perfekte Schmerzmedikation ist gesichert. Gute Kommunikation und Ethik: ja, muss gesichert sein.

Gute Frage eines (relevanten) Zuhörers: Hospize und Palliativmedizin seien positiv besetzt, warum aber nicht die Pflegeheime? Da kann man nur spekulieren, etwa so: Hospize sind freundlich, warmherzig müht man sich um die Sterbende, die einem suchend die magere Hand entgegenstreckt. Das mag man.

Pflegeheime für Alte jedoch wecken in vielen ein schlechtes Gewissen. Diese Leute leben noch und wollen leben, man hat Oma da untergebracht, doch Pflege ist schwierig und unangenehm, und es gibt Missstände. In Hospizen ist der Fall und das Ziel klar; aber im Heim, da pulsiert noch das Leben. Das irritiert. Viele sagen, sie wollten nicht in einem Heim enden, weil sie meinen, da dämmere man dahin. Positive PR ist da schwer zu leisten.

Über ein paar traurige Zahlen muss man nachdenken: Von 100 alten Menschen, die in ein Pflegeheim einziehen, sterben 20 schon im ersten Monat, nach dem Ablauf von 3 Monaten sind 30 gestorben und nach einem Jahr 50. Wer sich dann eingelebt hat, bleibt im Durchschnitt vier Jahre dort, bis zum Lebensende meist. Das liegt daran, dass die Neuankömmlinge bereits ziemlich alt sind. In Bayern war man vor 30 Jahren im Durchschnitt 68 Jahre alt, heute beträgt das Durchschnittsalter 86. Viele werden – oft nach einem häuslichen Sturz – in die Klinik gebracht und danach sofort ins Heim, und viele sind schwer krank. Solch ein Umzug ist zudem ein tiefer Einschnitt. Ein alter Baum, der verpflanztwird, wurzelt sich schwer neu ein. Dennoch ist das Altenpflegeheim nichts, was man fürchten müsste.

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Ein Heim ist eine Atmosphäre, ein Ambiente, eine Familie. Die Pflegerinnen und Pfleger, Betreuerinnen und Betreuer, die Bewohnerinnen und Bewohner selbst schaffen sich ihre eigene Welt, in der was los ist und das Sterben gar keine große Rolle spielt. Es kommt vor, gewiss, und dann stellen wir uns dem Notfall, aber erst einmal wird noch gelebt. Macht auch Spaß, und nicht zu knapp, immer noch, auch mit über 90 Jahren.

 

Andere Beiträge übers Sterben (Auszug):
Sterben und Tod;
Der Mehrwert des Sterbens;
Tunnel und Silberschnur.

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