Rhythmus mit Feuer
Feuer und Rhythmus, guter Titel. Da hört man die Trommeln im afrikanischen Busch und sieht Tänzerinnen und Tänzer am Feuer, und Feuer kennt man, aber was ist eigentlich der Rhythmus? Das muss sich der bekannte Schweizer Kulturredaktor Hanno Helbling auch gefragt haben, denn 1999 kam sein Buch Rhythmus heraus, im Untertitel Ein Versuch, und manipogo versucht, seine 90 Seiten auf 9 Zeilen zu komprimieren.
Chaos hat keinen Rhythmus, und Monotonie auch nicht. Rhythmus ist jedenfalls eine komplexe Erscheinung, und es gibt viele Rhythmen im Raum und in der Zeit, die wir gar nicht erkennen. Ein Gebirgszug hat einen Rhythmus (Raum), und ein Musikstück auch (Zeit). Wichtige Aussage nun:
Rhythmus ordnet und ist im Unterschied zu Geordnetem immer unterwegs.
Ich muss Voraussehbares mit der Möglichkeit des Unvoraussehbaren verbinden, damit rhythmische Spannung entsteht. Wir sollen also mit Überraschungen rechnen können.
Der Moment der Gefährdung muss dasein.
Der Rhythmus lebt aus Fraglichkeit und da, wo Ordnung unter Druck gerät. In der Musik haben wir das Zusammenwirken von Rhythmus und Takt, in der Literatur von Rhythmus und Metrik. Die Zeit thematisiert sich in Rhythmus, der wie Ausatmen/Einatmen ist und wie Fragen/Antworten.
Die Spannung ist das Wesentliche.
Ω Ω Ω
Nun ein paar eigene Gedanken dazu. Das Chaos spielt doch mit herein. Die Chaostheorie weiß, dass das Chaos immer wieder in Richtung Ordnung tendiert; ein System schwingt, und es schwingt um den seltsamen Attraktor, einen verborgenen festen Punkt, und in der Unordnung entstehen Inseln der Ordnung, die sogleich wieder in Gefahr sind zu verschwinden. Auch an die Evolution muss man denken und das Wirken des Zufalls, der ein statisches System womöglich auf eine neue Ebene hebt. Und überhaupt: das Leben, kontingent und mannigfaltig, das in jedem Individuum einen eigenen persönlichen Rhythmus gestaltet.
Gefährdung, Überraschung, Spannung: Gerade die Überraschung ist eine Größe, die das Bewusstsein braucht, um aufzuwachen und sich neu orientieren zu können. Spannung und Gefährdung gehören auch dazu, sonst wird es langweilig; wir müssen uns lebendig fühlen, und wir haben natürlich auch einen Sinn für Proportionen und das Schöne, also streben wir unbewusst nach einem guten Rhythmus in allem. Das gilt für die Lebensführung (Life/Work-Balance) wie für einen guten Song und eine Komposition auf Papier oder in Ton.
Ich hörte einen Song und dachte mir: Da ist es, das Rätselhafte des Rhythmus! Das dritte Stück der 1998-er-Live-CD Under the Radar von Little Feat heißt Distant Thunder, doch auf Youtube finde ich ihn nicht. Im Rockpalast-Konzert von 1995 könnte es drin sein. Richie Hayward (1946-2010) war Gründer der US-Südstaatenband, und er saß mit seinem Schlagzeug erhöht, er war der Boss. Bei Distant Thunder erst etwas Herumgeklimper, dann stöhnt jemand, und es geht los, eigentlich nur Klangfarbe der Gitarre und das Schlagzeug, präzise einzelne Schlage; aber sie fallen so vertrackt, immer einen Sekundenbruchteil bevor man ihn erwartet oder kurz danach, aber das peitscht einen auf, man ist mitten drin, und dann singt Shaun Murphy.