Stella und Peter

Stella und Christian, das war vor einem Jahr. Stella ist italienisch und heißt: der Stern. Stella polare, hieß so nicht eine Bahnstation in Ostia? Mittelmeer statt Eismeer. Stella Petersen jedenfalls, die Lehrerin bei Lenz, war wunderschön, aber eine literarische Figur. Stella Goldschlag lebte tatsächlich und war auch wunderschön, ein eiskalter Engel jedoch, und Peter Wyden hat ihre Geschichte aufgezeichnet.

Dass Wyden dabei die ganze quälende Geschichte von Juden-Verfolgung und -Ermordung in Nazideutschland aufrollt in (von mir) nie gekannten Details, macht das Buch zu einer solch schweren Lektüre. Wenn man es beiseite gelegt hat, ist es immer wieder wie das Aufwachen aus einem Alptraum, von dem man sich eingestehen muss, dass er sich wirklich ereignet hat, in unserem Land, vor weniger als 100 Jahren, also gerade eben.

Stella heißt das Buch. Peter Wyden war Journalist in den USA und ging mit der blonden berückenden Stella zur Schule, verehrte sie wie alle, kam nie an sie ran wie die meisten, und als er ihre Geschichte hörte, beschloss er, sie zu recherchieren und aufzuschreiben. Von den ersten Seiten bis zum fertigen Buch hat das 46 Jahre gedauert: von Kriegsende bis 1992, dem Erscheinungsjahr.

Stellas Geschichte dreht sich um Verrat und Kollaboration. Sie, die Jüdin, lieferte von 1942 bis 1945 in Berlin Juden im Untergrund, sogenannte U-Boote, an die Gestapo aus, und die meisten starben dadurch. Ihre Zahl rangiert von mehreren hundert bis 2300. Dafür saß Stella zehn Jahre im Gefängnis und ließ sich später in einer Stadt im Rheingau nieder, lebte vereinsamt und gab nie etwas zu. Alles waren für sie Missverständnisse oder Erfindungen.

Verrat und Kollaboration, Spionage und doppeltes Spiel waren in der Nachkriegszeit immer tabu. Damit wollte sich niemand auseinandersetzen. Auch Italiener und Franzosen klammerten sich gern an die Vorstellung, ihr Volk sei als Ganzes unterdrückt worden und habe Widerstand geleistet. Erst spät ließ man den Gedanken zu, dass manche Landsleute mit den Nazis gemeinsame Sache machten: um dem Tod zu entrinnen oder weil sie sich einen Vorteil davon versprachen. Es ist zwar menschlich, wenngleich unmenschlich den Mitmenschen gegenüber.

Stella wurde ins Berliner Gestapo-Hauptquartier gebracht und gefoltert. Ihre Eltern sollten deportiert werden. Um das zu verhindern, fing sie, die den jüdischen Widerstand bestens kannte, damit an, Bekannte den Terrorbehörden ans Messer zu liefern. Sie und ein gleichfalls eleganter Mann durchstreiften die Stadt und griffen zu, wenn sie sich einem untergetauchten Juden gegenüber befanden. Sie waren (wie viele andere) die gefürchteten »Greifer«. Das Motiv ihrer bedrohten Eltern und die Angst vor dem Tod führte Stella später immer wieder an.

Doch Stella hätte nicht eifrig und pflichtbewusst sein müssen wie die Nazis selbst; sie hätte fliehen können, wenn sie es nicht geschafft hätte, nein zu sagen. Doch sie blieb, bis zu den letzten Kriegstagen. Sie blieb auch lange danach schön, unnahbar und uneinsichtig, ein wie gesagt eiskalter Engel und erinnerte an die Bewacherinnen in den Konzentrationslagern. Sie nahm die Züge des Feindes an. Wer sich mit dem Feind einlässt, wer sich »umdrehen« lässt, der hat zwei Seelen in seiner Brust und bleibt zerrissen ein Leben lang; dem Doppelagenten geht es genauso. Er schleicht sich ein, spielt Theater, mimt Überzeugungen und gibt sich wie eine Hure, die Liebe vorgaukelt, um Geld zu verdienen, sich manchmal dafür hasst und sich zuweilen verliebt und langsam schizophren wird. Man schändet die Wahrheit nicht ungestraft.

 

 

 

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