Schwarzer Engel
Die schöne, jedoch todbringende Frau, der eiskalte Engel — das ist ein Topos in der Literatur und im Leben, ist die Vereinigung Madonna/Hure, emotional und erotisch besetzt und geeignet, viel seelischen Bodensatz aufzuwirbeln. Mit der Geschichte von Carmen Maria Mory wird leider wieder einer Täterin gedacht und nicht eines der vielen namenlosen Opfer, doch sie gehört hierher.
Denn sie schließt sich an den Beitrag Stella und Peter, hat mit Wiesels Der fünfte Sohn zu tun, mit den Todeslagern, mit Verrat, dem Film Ostatni etap, dem Entrinnen einer Hinrichtung und vielem anderen bei manipogo. So wird die Vernetzung enger. Dazu kam es durch die Erzählung Der Ausflug zum Schwanensee von Lenka Reinerová (1916-2008). Diese Prager Autorin schrieb auf Deutsch und über ihr Leben.
Sie erzählt von einem Ausflug nach Ravensbrück in der Uckermark (Brandenburg), in dessen Konzentrationslager der Nationalsozialisten während des Krieges 92.000 Frauen starben. Im Eingangsbereich fällt ihr das Foto einer Frau auf, die sie 1939 in einem Gefängnis in Paris traf und später (1943) als gefürchtete Blockälteste in Ravensbrück erlebte: Carmen Maria Mory. In Paris saß die Arzttochter, 1906 in Bern geboren, im Pelzmantel in der Zelle und hatte keinen Respekt vor den Aufsehern. Sie hatte in München Journalistik studiert, war den Nazis verfallen und ging nach Paris, um deutsche Emigranten zu verraten, so wie Stella Goldschlag, die schöne Jüdin, in Berlin Juden verriet. Im April 1940 wurde die Mory von den Franzosen zum Tode verurteilt … und am 6. Juni vom Präsidenten begnadigt, um für den französischen Geheimdienst zu arbeiten. (Im Foto: 1946 in Hamburg) Acht Tage später marschierten die Deutschen in die französische Hauptstadt ein.
Carmen lässt sich in Tours nieder, wird aber wegen ihrer Tätigkeit von den Deutschen festgenommen, die Nordfrankreich im Griff hatten. Nun bietet sie wiederum denen ihre Kenntnisse an, sie unterredet sich mit dem mächtigen Heydrich, aber nach irgendwelchen Verwicklungen landet sie in Ravensbrück. Sie wurde laut Frau Reinerová
die Blockälteste von Nr. 10, der ›schwarze Engel des Todes‹ in Ravensbrück. Sie nannten Nr. 10 den Block der Wahnsinnigen, die Aufseherinnen, denen nichts Unmenschliches fremd war, und die Ärzte, die, statt Leben zu retten, systematisch Tod säten.
Carmen Mory behandelte die Gefangenen so hart, wie es ging, half bei Selektionen und soll selbst gemordet haben. Als 1945 die Russen näherkamen, flüchtete sie und bot sich dem britischen Geheimdienst an, bis sie verhaftet wurde. 1947 kam es zum Ravensbrück-Prozess in Hamburg.
Frau Reinerová malt sich in Der Ausflug zum Schwanensee aus, wie sie wiederum in Paris Carmen Mory auf der Straße trifft, ihre Wohnung ausfindig macht und von ihr empfangen wird. Sie würde sich dann verabschieden, aber noch etwas sagen (wie Ariel Tamiroff, der den Mörder Berger, nun Firmenchef, verflucht und nicht seinerseits ermordet):
Ich war vor kurzem in Deutschland. Es gibt dort einen Schwanensee, Madame, an dem sehr viele Frauen gestorben sind. Meine kleine Schwester war darunter. Aber viele von ihnen würden vielleicht noch leben, wenn man Sie 1940, als ich Ihnen in Paris begegnet bin, nach Ihrer Verurteilung erschossen hätte.
Denn die Erzählerin wusste nicht, was aus Frau Mory geworden war und glaubte den Gerüchten nicht, diese habe sich vor der Hinrichtung umgebracht. Heute haben wir Wikipedia, die das bestätigt und uns als Morys Todesdatum den 9. April 1947 nennt. Ein zweites Mal entkam sie nicht.