Alptraum-Allee
Gut und Böse sind oft miteinander vermischt, Schwarz und Weiß verwischt zu Grau, doch irgendwann werden die Konturen klarer, und eine Entscheidung drängt sich auf. Stanton Carlisle, der Möchtegern-Magier in Guillermo de Toros jüngstem Film Nightmare Alley, sieht die Wahrheit nicht, die aus ihm spricht. Er will nur viel Geld verdienen, sinnt auf Betrug, lässt sich mit dem Teufel ein und geht unter.
Es ist ein abgrundtief düsterer Film, der einen aufsaugt und auslaugt und bis zur letzten Minute nicht loslässt. Entweder regnet es in Strömen oder es schneit anhaltend. Stanton (Bradley Cooper) hat irgendetwas Böses getan, lässt die Vergangenheit hinter sich, schließt sich als Hilfskraft einem zweitrangigen Zirkus an, lernt Molly kennen, übt mit dem alten Pete viele Tricks der Mentalmagie ein und plant danach eine große Karriere als Gedankenleser und Medium. In seinen Anfängen gibt es freilich drei Szenen, in denen der Magier Stanton — in höchster Not aufs Ganze gehend — in Trance gerät und außer sich: Etwas spricht aus ihm, er sagt Wahres aus und bezaubert seinen Gesprächspartner und sich selbst. Hinterher überspielt er das Geschehene, indem er die Effizienz alter Tricks hervorhebt. Er leugnet einen außersinnlichen Einfluss.
Ich habe das so gesehen. Wir sprechen ja von einem Film und können nicht sagen, dass etwas irgendwie objektiv »war«. Giovanna zum Beispiel, die alles Paranormale ablehnt, meinte, Stanton habe so sehr an seine Tricks geglaubt, dass er höchst überzeugend gewirkt habe. Doch ich glaube, der Regisseur wollte wirklich Momente der Wahrheit zeigen, die sich in das Kaleidoskop der vagen Aussagen und wahrscheinlichen Voraussagen mischten, weshalb plötzlich eine Eindringlichkeit da war, die einem den Atem stocken ließ. Guillermo del Toro ist Mexikaner und hat oft magische Momente auf die Leinwand gebracht. Stanton Carlisle jedoch erkennt nicht, was mit ihm geschah. (Bild links: der Regisseur, Guillermo del Toro, geboren 1964 in Guadalajara.)
Hätte er erkannt, dass da etwas aus ihm sprach, über das er keine Macht hatte, und hätte er ein Ethos besessen, dann hätte er ein gutes Medium werden können: der Sache hingegeben und den Menschen dienend. Stanton jedoch wollte Macht über die Menschen und Geld. Er führt seinen Untergang herbei, als er sich mit der Psychologin Lilith Ritter (Cate Blanchett) verbündet, um reiche Menschen hereinzulegen. Lilith, die kennen wir! Sie ist die Herrscherin der Unterwelt. Das Büro der Psychologin ist holzgetäfelt und peinlich geordnet, sie nimmt alle ihre Therapiestunden auf, spricht bedrohlich mit dunkler Stimme und verlockt den ehrgeizigen Mann. Er verkauft sozusagen seine Seele der Teufelin. (Sie ist in der Mitte des obigen Bildes zu sehen; links über ihr Zeena, Stantons erste Lehrerin, und rechts Molly, seine spätere Assistentin.)
Wer seine Gabe falsch einsetzt, also dem Geld nachläuft, statt der Wahrheit und den Menschen zu dienen, wird scheitern. In dem Film Nightmare Alley leben die reichen Bürger oberhalb der Stadt in Zitadellen mit langen Korridoren und hallenden Vorräumen, und grämliche Aufpasser lungern herum. Das sieht schon wie eine kalte, unerbittliche Hölle aus. Im Zirkus jedoch, dieser flitterhaften, bunten Gegenwelt zu den bürgerlichen Bastionen, ist so etwas wie Heimat, und menschliche Wärme herrscht. (Das Zirkus-Thema ist auch im Tatort schon abgehandelt worden, im irren Iwan und in Schwindelfrei.) Dorthin, in den Zirkus, kehrt der desillusionierte Magier zurück. Für solch einen Film ist das fast ein Happy end.