Schöne Schuhe

Von der Prager Autorin Lenka Reinerová (1916-2008) hatten wir erst vor ein paar Monaten etwas, und in ihrem Buch Mandelduft fand ich wieder eine Passage, die mich zum Schreiben zwang — weil die kleine Szene ein Pendant hatte, eine verwandte Geschichte, die wunderbar dazu passte, denn das Leben reimt sich, und manches bekommt erst durch eine Bekräftigung Überzeugungskraft.

Frau Reinerová hatte Krebs und musste zur Bestrahlung. Davon erzählt sie in Tragischer Irrtum und richtige Diagnose. Sie führte viele Gespräche mit Leidensgenossinnen.

Ein andermal saß neben mir eine hübsche junge Frau, die gleichfalls täglich zur Bestrahlung kam. Wir pflegten ein Grußlächeln zu wechseln, aber diesmal sprach sie mich unvermittelt an: 
»Stellen Sie sich vor, ich habe mir heute auf dem Weg hierher ein Paar Schuhe gekauft. Italienische, ziemlich teuer. Verrückt, nicht?!«
»Warum verrückt? Hauptsache, sie sind schön. Zeigen Sie.«

R.8e590396e1661e31a518a05d63a7837cDie Schachtel war verschnürt. Zum Vorschein kamen schwarze Lackschuhe mit rotem Absatz. Sie kam jeden Tag mit anderen Patienten, war etwas früher dran, und sie hatte plötzlich das Gefühl, »dass ich schnell mal raus muss aus der ganzen Misere. Wollte etwas sehen, das nichts mit Krankheit zu tun hat.« Dann sah sie die Schuhe und kaufte sie. Einfach so.

Sie seien bildschön, sagt die Erzählerin, sie solle sie doch anprobieren.

Mühelos glitt sie in die glänzenden Dinger, machte ein paar Schritte — und wurde zur Behandlung gerufen. Sie trippelte in den neuen Schuhen davon, und ehe sie hinter der Tür des Umkleideraumes verschwand, zwinkerte sie mir noch fröhlich zu.

Wie schön! Da fiel mir eine weitere Schuh-Geschichte ein, die ich nicht vergessen hatte — doch wo stand sie? Nicht bei Rachel Remen, nicht bei Dieter Beck, und sonst hatte ich keine Idee, so sehr ich mir mein Hirn zermarterte. Aber sie ist zu gut, ich werde sie also aus dem Gedächtnis wiedergeben.

OIP.QUMyLApRx9TnXwx4eYIO8AHaH1Es war wieder in einem Krankenhaus, und da war ein junges Mädchen, das einen schweren Unfall gehabt hatte. Sie würde vielleicht nie wieder richtig laufen können. Plötzlich sagt das Mädchen, sie würde sich gern elegante Schuhe mit hohem Absatz kaufen. Die Krankenschwester entgegnet schlechtgelaunt: Das sei nun nicht unbedingt das Angesagte, das könne sie bleibenlassen. Doch das Mädchen lässt sich nicht umstimmen, kauft sich die Schuhe und schaut sie jeden Tag an. Und, kaum zu glauben: Nach ein paar Monaten ging sie auf ihren eigenen Beinen davon, die Füße in den schicken Schuhen, vermutlich auch sie italienischer Machart.

Vielleicht stand es ja in »Medizin ohne Moral«, doch meine beiden Exemplare habe ich verschenkt. Und das Bild oben links hatte ich im Kopf: Da gab es doch auf einem Cover einer LP des Electric Light Orchestra rote Schuhe! Das Opus hieß »Eldorado«, es ist von 1974, und daraus hören wir uns was an, aufgenommen 2019 im Hyde Park in London: das hymnische Can’t Get It Out Of My Head.)

Man kann man nur sagen: Die Schuhe haben das Mädchen motiviert. Sie hatte den glühenden Wunsch, eines Tages in ihnen zu stehen und wieder zu gehen. Man muss den schrecklich realistischen Akteuren im Medizingeschäft manchmal einfach die rote Karte zeigen. Sagte nicht schon Jesus Christus (wie es alle Magier sagen): Wenn du etwas willst, stell dir vor, es wäre schon geschehen; und es wird so sein. Die Vorstellungskraft ist mächtig und kann wahre Wunder wirken. Tut, was euch gut tut, auch wenn es verrückt klingt!

 

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