La isola minima
Ein spanischer Kriminalfilm von 2015 heißt so: die kleine Insel. Er spielt in den Sümpfen von Guadalquivir in Andalusien, einer abgelegenen, tristen Landschaft. Die Deutschen haben seinerzeit nicht lange rumgetan und den Film Mörderland getauft. Wen stört’s? Welcher Spanier kann schon Deutsch?
Das war jedenfalls ein Film, dem ich gebannt folgte, weil er so anders war. Spanische Filme, die nicht von Almodóvar stammen, kommen selten zu uns. Zwei Mädchen sind verschwunden, und zwei Polizisten machen sich auf die Suche. Das hätte auch im öden Texas geschehen können, und den betreffenden Film können wir uns nur zu gut vorstellen; wie könnten ihn fast selber drehen. Mich ödet derzeit alles an; ich habe das Gefühl, in der Endlosschleife zu leben, alles schon tausend Mal gehört oder gesehen zu haben, und da war La isola minima eine Überraschung, da düster, mysteriös, gefährlich und schwer durchschaubar.
Das Jahr, in dem der Krimi spielt, erriet ich ganz gut. Polizist Pedro Suárez fährt einen braunroten Ford Granada, man sieht einige Renault R4 (so einen hatte ich ab 1978, in Orange) und Citroen 2CV, und man hört, Spanien befinde sich nun in einer Demokratie, und die Guardia Civil macht keine gute Figur. Spaniens Diktator Franco starb 1975, der König übernahm, darum war das Jahr 1980 der richtige Tipp.
Die Landschaft spielt die Hauptrolle ― dieses gottverlassener Sumpfland wie die Ebene des Po oder die Everglades in Florida. Regisseur Alberto Rodriguez bietet uns ungewöhnliche Aufnahmen von oben oder aus der Ferne (Fotografie: Álex Catalán). Einmal verfolgt Polizist Suárez im Granada einen verdächtigen Wagen, jagt ihm auf einer schmalen Straße über die Ebene nach — und plötzlich ist er weg; Nebelbänke ziehen vorbei, es wird dunkel, die Scheinwerfer des Granada zeigen nur noch Gestrüpp. Da glimmen jenseits der Straße zwei Rücklichter des verfolgten Fahrzeugs, und die Jagd geht weiter. Das ist großartig beklemmend.
Da stehen ein paar verlassene Häuser, und ein kümmerliches Dorf gibt es. Wer jung ist, will hier weg, will nach Malaga oder Cadiz. Die jungen Mädchen wollten weg, aber sie sind tot, ermordet nach einer Folter.
Raúl Arévalo als Suárez ist wortkarg und stets mürrisch, aber ein guter Beobachter; übrigens hat er mich an Tschugger erinnert. Sein Kollege Juan Robles (Javier Gutiérrez) ist dynamisch und Affären mit Frauen nicht abgeneigt, doch von gewalttätiger Natur: Er stürzt sich sofort auf Verdächtige oder Zeugen, um ihnen eine Aussage abzupressen, wie es zur Franco-Zeit üblich gewesen sein mochte. Krank ist er auch: Blut im Urin, das sollte man bald abklären.
Sie reden hastig (war in der italienischen Synchronisation nicht immer zu verstehen), und dann wieder schweigen sie. Gar nicht so einfach zu entschlüsseln, so ein Krimi aus einem uns fernen (und doch nahen) Kulturkreis! Eine Organisation will für die hungernden Arbeiter höhere Löhne, der Fabrikunternehmer spielt sie gegeneinander aus. Es ist eine Abrechnung und Aufarbeitung vergangener (vielleicht auch jetziger) Zeiten.
2015 war La isola minima der erfolgreichste spanische Film; er erhielt eine Menge Auszeichnungen. Schade, dass unsere Kinoszene so auf die Vereinigten Staaten konzentriert ist. Europäisches Kino ist so vielfältig, wenn man sich die Mühe macht, sich umzuschauen!